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nen Öffnungen in der Vase vor dem Lamm und im Maul eines der beiden Löwen-
jungen war leicht auf ihre ursprüngliche Funktion als Brunnen-Reliefs zu schließen.
Uneins waren sich die Autoren allerdings in Bezug auf die zeitliche Bestimmung der
Grimani-Reliefs, die Wickhoff als Arbeiten einer führenden Werkstatt augusteischer
Zeit ansah, Schreiber hingegen deutlich später
datierte11.
Kurz nachdem Volker
Michael Strocka den beiden Skulpturen 1965 eine weitere Detailstudie gewidmet
hatte12,
erfuhr die Diskussion eine richtungsweisende Wendung durch die Bekannt-
machung der Ergebnisse einer Grabung am Fuß des ehemaligen Fortuna-Heiligtums
von Palestrina, in deren Verlauf ab 1960 eine als macellum definierte Anlage mit
fünf Nischen freigelegt worden war. Darin fand man neben einem dem „Divus Au-
gustus“ geweihten Altar auch ein Relief mit der Darstellung einer Bache und ihrer
sechs Frischlinge (Abb.
4)13.
Format, Komposition, Stil und Thematik dieses Reliefs
machten unmittelbar evident, dass es sich um ein Komplement zu den beiden be-
kannten Reliefbildern aus der Sammlung Grimani
handelte14.
Allem Anschein nach gehörten sie zu einem Zyklus, der einst ein Monument in
Palestrina geziert hatte. Die Bestimmung eines seit dem frühen 20. Jahrhundert in
Budapest bewahrten Relieffragments mit dem Zweig einer Platane als Bruchstück
eines vierten Reliefs bestätigte diese
Annahme15.
Der ursprüngliche Standort der
Reliefs wird nach heutiger Auffassung allerdings nicht wie zuvor im macellum lo-
kalisiert, sondern im oberen Forum von Palestrina. Vermutet wird eine Verbindung
mit dem aus den letzten Regierungsjahren des Kaisers Augustus datierenden Mo-
nument des Verrius
Flaccus16.
Eine Entstehung der Reliefs im imperialen Milieu
würde sowohl die hohe künstlerische Qualität in der Ausführung als auch ihre
Ikonographie erklären, illustrieren sie doch die unter Augustus vielfach propagier-
ten Leitmotive des Friedens und der Fruchtbarkeit sowie den Lobpreis des einfa-
chen Lebens im Einklang mit der
Natur17.
Die archäologische Bestimmung der Reliefs führt auf die eingangs erwähnte Pro-
blematik ihrer Sammlungsgeschichte zurück, denn unter der Prämisse, dass sich
auch die beiden Reliefs in Wien ehemals in Palestrina befunden hatten, war es um-
so schwerer erklärbar, wann und wie sie nach Venedig in den Besitz der Grimani
gelangt waren. Bisherige Erklärungsversuche datierten den Vorgang sehr unter-
schiedlich: entweder in die Jahre um 1500, als der Venezianer Marco Barbo sein
Amt als Bischof von Palestrina genutzt haben könnte, um die Skulpturen in seine
römische Residenz bei San Marco verbringen zu lassen, wo sie sich später Kardinal
[Hg.], Die Schriften Franz Wickhoffs, Bd. 3, Berlin 1912, 33–41). Der Deutung Wickhoffs widersprach
Theodor Schreiber, Die hellenistischen Reliefbilder und die augusteische Kunst, in: Jahrbuch des Kai-
serlich Deutschen Archäologischen Instituts 11, 1896, 78–101, hier: 78, 81–83.
11 Unterschiedliche Auffassungen bestehen noch in der neueren Literatur. Als Arbeiten flavischer Zeit
sind die Reliefs etwa angeführt bei Brigitte Hundsalz, Das dionysische Schmuckrelief, München 1987,
248 f., Nr. K 160.
12 Siehe Strocka 1965 (zit. Anm. 5).
13 Angezeigt wurden die Funde erstmals in einer Besprechung des Aufsatzes Strockas von Ranuccio
Bianchi Bandinelli in: Dialoghi di Archeologia 1, 1967, 125–129, hier: 128 f. Im Archiv der Antiken-
sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien findet sich ein Brief vom 14. Juni 1967 aus Rom,
adressiert an deren damaligen Direktor Rudolf Noll, in dem dieser von Valnea Santa Maria Scrinari,
Leiterin der Soprintendenza ai beni archeologici, über die Aufstellung des Wildschwein-Reliefs im Mu-
seum von Palestrina informiert wird. Ausführlich publiziert wurden die Grabungs ergebnisse erst von
Nadia Agnoli, Palestrina. Il cosidetto macellum, in: Atti della Accademia nazionale dei Lincei. Classe
di scienze morali, storiche e filologiche. Rendiconti 9, 1998, 157–181. Zum Altar des „Divus Augus-
tus“ siehe Dietrich Boschung, Die Bildnisse des Augustus, Berlin 1993, 138, Nr. 63.
14 Zum Relief mit dem Wildschwein siehe Beatrice Palma, Il rilievo tipo „Grimani“ da Palestrina, in:
Prospettiva 6, 1976, 46–49, und Nadia Agnoli, Museo archeologico nazionale di Palestrina. Le scul-
ture, Rom 2002, 207–217, Nr. III.3.
15 Das Fragment wurde 1908 von Paul Arndt aus römischem Handel erworben. Siehe Antonio Giuliano,
Un quarto rilievo della serie Grimani, in: Xenia 9, 1985, 41–46.
16 Siehe Filippo Coarelli, Il monumento di Verrio Flacco nel foro di Preneste, Palestrina 1987 (wieder
abgedruckt in: ders., Revixit ars. Arte e ideologia a Roma. Dai modelli ellenistici alla tradizione re-
pubblicana, Rom 1996, 455–469, hier: 466 f.). Dort auch zur Deutung der vier Reliefs als Allegorien
der vier Jahreszeiten. Zum antiken Forum Palestrinas siehe auch Stefano Pittaccio, Il foro intramura-
neo a Preneste. Origini e trasformazioni, Rom 2001.
17 Siehe Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München 1987, 303 f.