Full text: Der rückschauende Kopf. Basaitis Berufung der Söhne des Zebedäus und Platons Kugelmenschenmythos

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unseren ganz zart und nebulos, weiß in grau gemalten 
Gestalten an den Säulen. Vielleicht haben sowohl diese 
erstaunliche Übersetzung Ficinos als auch die Grabstein- 
Säulen bei Ficino und Leone Ebreo den Bilderfinder 
zusätzlich inspiriert, diese Lispai just als Grisaillen an 
einer pantheonoiden Aedicula zu malen oder malen zu 
lassen: als mysteriöse Wesen an antiken Bildwerken, als 
lichte Geister des platonischen Altertums, die sich aus 
guten – oder genauer: schlechten – Gründen in einer 
Umwelt von homophoben Dunkelmännern nur denen 
gern zu erkennen geben, die mit offenen Augen und 
 offenen Herzen sie aufsuchen. 
princeps von Demetrios Chalkokondyles erst 1499 in Mailand publi- 
ziert wurde) erst im nächsten Lemma, das mit 
»Λίσποι, 
καὶ οἱ τὰ ἰσχία 
λεπτοί« (Lispoi [nennt man] auch jene, die hinsichtlich ihrer Hüften 
schmal sind) beginnt, genannt und im übernächsten (dem dann zweiten 
Lemma Λίσποι) als in der Mitte durchgesägte und perforierte Astragaloi 
(Knochen) beschrieben werden. Hier finden sich aber auch noch wei- 
tere Begriffe: λισπόπυγοι, erklärt als 
»οἱ 
λεῖοι τὴν πυγήν« (die hinsicht- 
lich ihres Hintern zart/glatt sind), und eine weitere Erklärung der 
Lispai: Das Wort sei auch ein Epitheton der Athener, die als Seefahrer 
beim Rudern viel Zeit sitzend verbringen müssen und daher ἀπόγλουτοι 
seien, was man sinngemäß vielleicht als »kleinhintrig« oder »glatt- 
hintrig« übersetzen kann. Laut anderer Meinung, so berichtet der 
Lexikograph, hießen die Athener aber so wegen Theseus, der mit 
Peirithoos in die Unterwelt hinabgestiegen und von Persephone zu- 
sammen mit seinem Freund an einen Felsen gebannt worden sei. Als 
Herakles hin abstieg, um den Kerberos heraufzuholen, und die Erlaub- 
nis der Göttin dazu erhielt, habe er Theseus vom Felsen losgerissen, 
und dabei sei ein Stück von dessen Hinterbacken zurückgeblieben. 
Dieser Mythos ist in der Antike und in der Renaissance wohlbekannt. 
Das Adjektiv ὑπόλισπος (»ein wenig glatt«) verwendet Aristophanes 
in den Rittern (v. 1368) in derbem Zusammenhang mit abgeriebenen 
Hinterbacken von Seeleuten. Zum obszönen Witz dieser Stelle siehe 
Hans Licht, Sexual Life in Ancient Greece, London 1936, 232–233. 
Im Scholion zu diesem Vers (die Kenntnis der Aristophanes-Scholien 
ist zu Basaitis Zeit sicher vorauszusetzen, da Musurus sie 1498 bei 
Aldus in Venedig herausgegeben hatte) wird als Erklärung ebenfalls 
der Herakles- Theseus-Mythos berichtet. 
Recht evokativ ist die Übersetzung des Begriffes Lispai von Giovanni 
Crastone im Dictionarium (zit. Anm. 92), s.v.: 
»λίσπαι. 
ὁι. λίσποι. di- 
cuntur qui habent nates graciles.« (Lispai oder Lispoi werden jene 
genannt, die zarte Hinterbacken haben.) Wörtlich dieselbe Überset- 
zung begegnet bei Girolamo Aleandro (1480–1542) in dessen Lexicon 
graeco-latinum, multis et praeclaris additionibus locupletatum, Paris 
1512, s.v. In beiden Lexika ist außer dieser somatischen Bedeutung, 
die weniger auf die λίσπαι denn auf die λισπόπυγοι der Suda zurückgeht, 
keine andere erwähnt, insbesondere nicht die für Platons Symposion 
allein zutreffende Bedeutung als teilbare Erkennungsmarke. Ob Ficino 
oder Humanisten zur Zeit Basaitis, die diese indispensablen Lexika 
konsultierten, zwischen zarten Hinterbacken und homoerotischen Inter- 
essen eine Verbindung sahen, wird kaum mehr seriös zu eruieren sein. 
An meine Studiencollegin 
ein Epigramm der Chloris 
Liebe Peri, die Du zur Nachtzeit wundersame Kunst 
katzglücklich mit mir erforschst, maunz nicht! 
Die Rinder hat der Maler selbst schon getilgt, 
und nie wird es irgendetwas an edelnährender Kunst 
geben, das in unsere Schüsserln fällt. 
AD MORVM & STVDIORVM COLLEGAM 
CHLORIDIS EPIGRAMMA 
NOCTVRNO PERI MIRAM FELICITER ARTEM 
QVAE LVSTRAS MECVM TEMPORE CARA FAVE 
ABSTVLIT IPSE BOVES PICTOR NOSTRA INQVE CATILLA 
ALMAE ALIQVID NVMQVAM QVOD CADAT ARTIS ERIT
	        
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