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In Marco Basaitis Berufung der Söhne des Zebedäus
(Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie, Inv.-
Nr. 116, signiert und datiert ».1515. marcus. baxaitj. .f.«)
fällt eine merkwürdige Zutat ins Auge: ein Architektur-
rahmen mit Grisaillefiguren, die mit der zentralen neu-
testamentarischen Szene auf den ersten Blick nicht
zusammenhängen und von der kunstgeschichtlichen
Forschung bisher noch nicht erklärt werden konnten.
Ein kurioses Detail dabei findet sich auch an zwei be-
rühmten Stellen der damals in gebildeten Kreisen disku-
tierten Literatur. Im vorliegenden Beitrag sollen diese
Spuren verfolgt
werden.1
Auf einer davon erschließt sich
ein bunter Pavillon unter dem Regenbogen in jenem
Garten der humanistischen Geisteslandschaft, in dem
Renaissancegelehrte die bekannten Texte der klassischen
heidnischen Antike und der jüdisch-christlichen Tradition
nebeneinander hegten und pflegten – und dieser Garten
1 Der Text basiert auf einem Vortrag, den ich am 22. Juni 2015 am
Institut für Klassische Philologie der Universität Salzburg und am
25. Juni 2015 im Rahmen des Eranos Vindobonensis an der Universität
Wien gehalten habe. Für ausführliche Diskussionen bei der Vorbe-
reitung danke ich Harald
Jurkovič
buonanima (Wien), für die Durch-
sicht des Vortragsmanuskripts und hilfreiche Anmerkungen Vera
Bachmann-Ernsting und Bernd Ernsting (beide Köln). Für die Durch-
sicht verschiedener Entwicklungsstadien der vorliegenden erweiterten
Fassung und weitere hilfreiche Anmerkungen danke ich Guido Caneto
(Borgo d’Oneglia), Alice Hoppe-Harnoncourt (Wien), Manuela Lau-
benberger (Wien), Frank C. Möller (Hamburg), Georg Plattner (Wien)
und Andreas Prater buonanima (München), für die Inokulation mit
den Ideen des Platonismus und des Synkretismus in der Renaissance
meiner Diplommutter Christine Harrauer buonanima und meinem
Doktorvater Eugen Dönt buonanima (beide Wien), für die Inokulation
mit der venezianischen Renaissancemalerei Sylvia Ferino-Pagden
(Wien), für technologische Präzisierungen und kompositorische
Denkanstöße dem Restaurator des Gemäldes Michael Odlozil (Wien),
für anatomische Auskunft den Medizinern Wilhelm Aschauer und
Wolfgang Fürst (beide Wien), für die freundliche Aufnahme bei den
Publikationen des Kunsthistorischen Museums Wien Sabine Haag,
Peter Kerber, Guido Messling und Franz Pichorner (alle Wien), für
die freundliche Initiative, den Beitrag bei den Römischen Historischen
Mitteilungen aufzunehmen, Rainer Murauer (Rom), für ihre kon-
struktiven Kommentare drei anonymen Gutachtern, für das Lektorat
Ramona Heinlein (Wien), für die englische Übersetzung Sophie Kidd
(Cardigan) und John Nicholson (Wien), für die Organisation Rafael
Kopper, für das Layout Rita Neulinger, für die Bildbearbeitung Jakob
Gsöllpointner (alle Wien), und, last not least, für allzeit brüderlichen
Zuspruch Michael Hochedlinger (Wien).
wurde von manchen Vertretern der damaligen geistlichen
Obrigkeit, des römisch-katholischen Klerus, mit gewissem
Argwohn betrachtet und aus Furcht vor heidnischen
Umtrieben und kirchenkritischer Disputationslust nur
vorsichtig bewandert. Wollen wir dieser Spur aus der
Literatur weiter in die Realität folgen, führt uns der Weg
in einen Bereich der menschlichen Lebenswelt, mit dem
sowohl die geistliche als auch die weltliche Obrigkeit
damals ein großes Problem hatte und mitunter heute
immer noch nicht locker umgehen kann: dem der gleich-
geschlechtlichen Liebesbeziehungen.
Forschungsstand und Fragestellung
Das Ölgemälde auf
Pappelholz2
ist nicht sehr groß (hand-
liche 124 × 60 cm) und daher wohl nicht für eine Kirche,
sondern für die private Andacht geschaffen (Abb. 1). Über
das Leben von Marco Basaiti (ca. 1470–1530), der aus
albanischer oder griechischer Familie stammte und in
Venedig arbeitete, ist nur sehr wenig
überliefert.3
Das Hauptsujet des Gemäldes ist eindeutig: Im Zentrum
ist die Berufung der Söhne des Zebedäus durch Jesus
dargestellt, wie sie bei den Evangelisten Markus (1, 16–20),
Lukas (5, 10–11) und Matthäus (4, 21–22) fast gleichlautend
überliefert ist; hier mit der vorangehenden Szene der Be-
rufung von Petrus und Andreas die Version des Markus:
»Und als er am Galiläischen Meer entlangging, sah
er Simon und Andreas, dessen Bruder, die ihre Netze
ins Meer warfen, denn sie waren Fischer. Und Jesus
sprach zu ihnen: Kommt mir nach, und ich will euch
2 Zur maltechnischen Untersuchung siehe Sylvia Ferino-Pagden &
Michael Odlozil, Zur Konservierung und Restaurierung von Marco
Basaitis Berufung der Söhne des Zebedäus, in: Technologische Studien
Kunsthistorisches Museum 6, 2009, 215–237.
3 Mauro Lucco, Basaiti, in: Paragone. Arte 25, 1974, 297, 41–55; Bernard
Bonario, Marco Basaiti, Berlin 1974.
Karin Zeleny
Der rückschauende Kopf
Basaitis Berufung der Söhne des Zebedäus
und Platons Kugelmenschenmythos