Full text: Band 15 (N.F.) (XV=51)

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Ortwin Gamber 
Die Entdeckung der Perspektive und ihre künstlerische Anwendung resultieren daraus. Gerade in die 
Zeit zwischen 1440 und 1450 fällt der Höhepunkt dieser Bewegung. Donatellos großartige Plastiken 
voll körperhafter Schwere, wie die Sakristeitüren von San Lorenzo (1435—1443) in Florenz, der Santo- 
Altar (1446—1450) und der Gattamelata (1446—1453) in Padua, entstehen beispielsweise in diesem 
Dezennium. Auch im Norden und Westen sind damals Gleichstrebende am Werke, so Konrad Witz 
(Genfer Petrusaltar 1444), Jakob Kaschauer (Freisinger Altar 1443) und der Meister von Aix. Ihnen 
streben die Plattner, an ihrer Spitze der Mailänder Tommaso da Ello, genannt Missaglia, nach. 
Aber bereits zu diesem Zeitpunkt beginnen die ersten Veränderungen (Abb. 21, 24). Die Schiftung 
rückt höher hinauf, je zwei bogige Ausschnitte beleben sie 9 . An Stelle der rechteckigen kommen längere, 
seitlich stark eingeschnittene Beintaschen auf 10 , die auch durch Längsgrate belebt sein können 11 . 
Um 1450 nehmen diese Umgestaltungen immer mehr zu (Abb. 23, 25). Die Mittelspitze der Schiftung 
wird zu einer schmalen Zunge, die bis zum Halsloch hinaufreicht 12 . Ebenso steigen die Rückengeschübe 
(Abb. 86/6) immer steiler an. Die alte praktische Übung, den Folgenrand über der Nietung mit einer 
Spitze zu versehen, um deren Ausreißen zu verhindern, wird zum Ziermotiv. Namentlich bei den 
nunmehr unsymmetrisch werdenden Hinterflügen der Schultern (Abb. 91/4) reiht sich an den Folgen 
rändern Zacke an Zacke. Die Stulpen der Hentzen und die Kniefolgen spitzen sich immer mehr zu. Die 
Ziergrate an Schulterschiftungen, Muscheln und Beintaschen werden ausgeprägter, verdoppeln sich 
überdies vielfach. Sogar blattartig gerippte Muscheln 13 sowie Vertikalkehlen an Schiftung 14 und Hinter 
flügen treten auf (Abb. 26, 91/3). Um die Mitte bis zum Ende des Dezenniums erreicht diese auf Be 
lebung der Harnischflächen durch reiche Binnenzeichnung zielende Bewegung ihren Höhepunkt 
(Abb. 30). Gleichzeitig ändert sich auch der Umriß des Harnisches ein wenig. Die Brust hängt an der 
Taille nicht mehr so über, sondern verjüngt sich in gleichmäßigerer Rundung. Mit all dem hat der 
Harnisch der Fünfzigerjahre ein eleganteres und reicheres Aussehen erhalten, ohne viel von seiner 
alten kräftigen Körperlichkeit zu verlieren. 
Einige erhaltene Harnische und Harnischteile verdeutlichen diesen Stilwandel. Der einfachste von 
ihnen ist durch punzierte Inschriften als Leibharnisch des Galeazzo von Arco (ermordet vor 1482) 
ausgewiesen (Churburg, Kat. Nr. 21, Abb. 20) li . Rechtes Armzeug samt Hentze, linke Schulter- und 
Armschiftung, Rüsthaken, Tuilettes und Gesäßtasche fehlen. Die Schwere seiner ganzen Erscheinung, 
seine absackende Brustform, die einfache Spitzschiftung, die breiten Beintaschen und die fast quadrati 
schen Hinterflüge verraten, daß er um 1445 entstanden sein muß. Er trägt Missagliamarken. 
Der nächste Harnisch (Churburg, Kat. Nr. 19, Abb. 21) ist ebenfalls durch die gepunzte Inschrift 
„Udalricus“ einem bestimmten Träger zuzuweisen: Ulrich IX. von Matsch (1408—1481). Der Turnier 
helm gehört nicht unmittelbar dazu, linke Beintasche, Tuilettes und Gesäßtasche, ferner alle Finger 
der Hentzen fehlen. Obgleich er noch den gleichen massiven Bau aufzuweisen hat, wirkt er schon reicher. 
Die Spitzschiftung ist geschweift geschnitten, dazu wird die Form der Hinterflüge mehr hochrecht 
eckig (Abb. 91/2). Die Schulterschiftungen tragen Schräggrate, die Muscheln Randgrate. Die Beintasche 
hat eine schmälere Form bekommen. Er dürfte fast im gleichen Zeitraum wie der Arco-Harniscli ent 
standen sein, aber schon im neuen Geschmack, also um 1445— 1450. Auch er ist mit den Missaglia 
marken gezeichnet. 
Wesentlich fortgeschrittener ist der Harnisch der Churburg (Kat. Nr. 20, jetzt Stadtmuseum, Glasgow, 
Abb. 23) mit der punzierten Devise „Avant“. Seine rechte Schulterschiftung, der Rüsthaken, die Bein 
taschen, Tuilettes und die Gesäßtasche fehlen. Er besitzt eine Brust mit geschweift geschnittener 
Schiftung, welche in eine schmale Zunge ausläuft. Die Hinterflüge der Schultern sind leicht un 
symmetrisch gebildet, ihre linke Schiftung weist einen Schräggrat und den charakteristischen ein 
gebogenen Brechrand der Fünfziger jahre auf (siehe Abb. 27). Die Armzeugmuscheln blieben hier glatt. 
Mantegnas Christophorusfresken von 1457 in der Paduaner Eremitanikirche (Abb. 25) und Piero della 
s ) Pisanello, Medaille auf König Alphons von Neapel, dat. 1449. 
">) Harnischstudien V, S. 80, Abb. 96. 
n ) Harnischzeichnungen in Rom, Camera delle Stampe, Mann, Sanctuary, Taf. 25, oben Mitte. 
la ) Golubew, Die Skizzenbücher Jacopo Bellinis, Brüssel 1908 und 1912, Pariser Skizzenbuch fol. 66 a (um 1450). 
13 ) P. Uccello, Rotta di San Romano, Florenz, Uffizien (zweiter Ritter von links). 
14 ) Grabmal Antonio Rido, f 1457, Rom, Sta. Francesca Romana. Abgeb. Mann, Sanctuary, Taf. 27, 1. 
15 ) Bei Erwähnung Churburger Stücke siehe stets Trapp, Churburger Rüstkammer.
	        
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