STUDIEN ÜBER DIE ANWENDUNG DES HELLDUNKELS
IN DEN WERKEN GUIDO RENIS
VON GÜNTHER HEINZ
Die Werke Guido Renis bieten in der Ordnung ihrer Entstehungszeit einen guten Einblick in die
Aufgaben der Barockmalerei, die in mehrmaligem Richtungswechsel in ihrer Entwicklung einmal
revolutionär einen Bruch mit der Vergangenheit bewirkt, einmal wieder rückblickend aus dieser An
regung sucht, deren Geschichte also in einem häufigen Absetzen und wieder Neubeginnen fortschreitet.
Dementsprechend findet sich auch, je nachdem welche Schaffens]ahre eines Künstlers und welche Arten
seiner Ausdrucksweise im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, die Zahl der Hauptmeister einmal als
revolutionäre Neuerer, einmal als nachgeborene Renaissancekünstler bezeichnet, wie dies zum Beispiel
bei Caravaggio, bei Annibale und Reni der Fall ist 1 . Der Weg der Untersuchung kann von zwei Seiten
her beschritten werden, nämlich von den theoretischen Grundlagen der Bildideen oder von den Möglich
keiten der Umsetzung der Bildidee in die konkrete Gestalt des Einzelwerkes.
Von der grundlegenden Arbeit Otto Kurz’ in diesem Jahrbuch 2 , der ersten kritischen Betrachtung
des Gesamtwerkes von Reni, ist die Forschung bis zu den Interpretationen Gnudis 3 fortgeschritten.
Besonders die Arbeiten Mahons 4 haben die theoretischen Grundlagen der Stilentwicklung in helles Licht
gerückt und der Betrachtung der Einzelwerke als sinnfällige Zeichen der kunsttheoretischen Gedanken
welt des Zeitalters eine feste Basis verschafft. Die Fragen der Errungenschaften in der Geschichte des
Malens, der Technik im weitesten Sinne, ursprünglich ein großes Anliegen der Kunstgeschichte, treten
in den Hintergrund, sie werden im einzelnen nur in den Katalogen erörtert.
Schon in der ältesten Literatur und den Quellen wird Neuerung und Rückblick an Hand der Ausdrucks
mittel betrachtet, die maltechnische Neuerung im weiteren Sinn als Grund des Wandels im Erscheinungs
bild der Werke eines Abschnittes des Kunstschaffens gesehen. Wenn auch die alte Vorstellung des
stilistischen Fortschrittes längst revidiert ist 5 , ist doch nicht zu übersehen, daß ein und dasselbe Aus
drucksmittel bei den verschiedenartigsten Charakteren auftritt und, obwohl zu verschiedenem Zweck
angewendet, doch einen verwandten Effekt hervorbringt, daß also von den verschiedenartigsten Indi
vidualitäten in einer und derselben Art über die Wahl des Mittels der künstlerischen Verwirklichung
ihrer an sich verschiedenen Ideen gedacht wird und daß deren Werke daher im Effekt ähnlich sind. Die
Variationen der Anwendungsart eines und desselben Ausdrucksmittels ist also an sich ein interessanter
Vorwurf der Untersuchung, wobei noch eine weitere Frage aufgeworfen wird: Bietet nicht das einmal
angewendete Mittel selbst Anregung zu bestimmtem Ausdruck des Bildes und beeinflußt womöglich
auch die künstlerische Interpretation des I hemas und schließlich, gibt es eine vorgezeichnete Ent
wicklung in der Anwendungsart eines Ausdrucksmittels, die einen Zwang auf die künstlerische Ent
wicklung auszuüben imstande ist? Renis Entwicklungsgang bietet ein gutes Beispiel in der Geschichte
des Ausdrucksmittels des Helldunkels, da in seiner Schaffenszeit von zirka 1602/03 bis 1642 die
1) g, Bergmans, Denis Calvart, peintre Anversois fondateur de L’ecole Bolonaise (Academie royale de Belgique, Classe de beaux
arts, Memoires)! Bruxelles 1934. läßt z. B. Reni ganz als Epigonen des 10. Jahrhunderts erscheinen. Ähnliches bei Guido Giongo,
Guido Reni giovane, Commentari III, 1952. Charakteristisch ist die Beurteilung Caravaggios, wo auf der einen Seite Longhi
(sowie die älteren Autoren, wie Kallab. sodann Venturi, L’Arte 19, Zahn, Pevsner und Schudt) auf der anderen Seite Berenson
und bis zu einem gewissen Grad Benkard als Antipoden gegeneinander stehen. In den Quellen, die das Empfinden der Zeitgenossen
überliefern, ist das Gegensatzpaar bereits anzutreffen, wie z. B. in der von Malvasia überlieferten Vorliebe Renis für Calvart,
seine Verehrung der großen Meister des 16. Jahrhunderts, in der überlieferten Beobachtung vom Giorgionismus Caravaggios,
aber zugleich in der Behauptung des revolutionär Neuen im Naturalismus dieses Meisters etc. Vgl. die Zusammenfassung der
Probleme hei R. Hinks, Michelangelo Merisi da Caravaggio, London, 1952. Das ganze Problem des „Eklektizismus“ (vgl.
Mahon, Studies in Seicento Art and Theory, London 1947) gehört außerdem in diesen Zusammenhang.
2 ) Neue Folge XI/1937, p. 189 — 220, Otto Kurz, Guido Reni.
3 ) Mostra di Guido Reni, Catalogo critico a cura di Gian Carlo Cavalli con la collaborazione di Andrea Emiliani e di Lidia
Puglioli Mandelli, saggio introduttivo di Cesare Gnudi. Bologna 1954.
4 ) Die grundlegende Arbeit, Denis Mahon, Studies op. cit. bietet den Einblick in das Gebiet der Beeinflussung der Stilgeschichte
von seiten des Theoretischen und schafft dadurch die Möglichkeit, auch umgekehrt das Ausdrucksmittel allein in demselben
Blickwinkel zu untersuchen.
5 ) Daß auch Riegl (Entstehung der Barockkunst in Rom, Wien 1908, p. 154) einer technischen Erfindung bedeutende Folgen
in der Stilgeschichte zuschreibt, kann als Beleg gelten, daß die im prinzipiellen dargelegte, die „Technik“ als stilbildenden
Faktor ausschließende Theorie sich in dem Gebiet der Einzelforschung nicht durchhalten läßt,