Full text: Band 15 (N.F.) (XV=51)

JOST BURGIS BEITRAG ZUR FORMENTWICKLUNG DER UHREN 
VON H. VON BORTELH 
Im Wiener Kunsthistorischen Museum wird die kleine Bergkristalluhr (Abb. 161) 1 *) auf bewahrt, die vor 
kurzem den Schlüssel für die Aufklärung der mysteriösen Sekundenmessungen Jost Burgis zur Zeit 
Tycho Brahes und Keplers geliefert hat. Jost Burgi, ein gebürtiger Schweizer aus Liechtensteig im 
Toggenburg, war Mechanikus und Uhrmacher, zuerst am Hof von Kassel (157!)—1602) mit einer Unter 
brechung um 1594, als er nach Prag reiste, um dem Kaiser Rudolf II. eine Uhr als Geschenk des Land 
grafen von Hessen zu überbringen; dann, von 1602 an bis knapp vor seinem Tode (1631), lebte er dauernd 
am Hradschin, von Kaiser Rudolf II. in den Kreis seiner großen Wissenschaftler berufen. Aus den 
wenigen Daten, die in den Kasseler und den Österreichischen Hof-Archiven über Burgi auffindbar waren, 
hat A. v. Drach 2 eine Biographie zusammengestellt. Dort befindet sich auch der bedeutsame Ausspruch 
Keplers (Burgi wird in die Geschichte eingehen mit ähnlich großem Ruhm wie Archimedes), eine Äußerung, 
die lange Zeit als unverständliche Übertreibung angesehen wurde; erst seit festgestellt worden ist, 
daß Burgi der erste Mathematiker war, der logarithmische Tabellen aufgestellt und benutzt hat und 
überdies die Dezimalschreibweise eingeführt hat, beginnt man ihn wirklich zu den größten Mathematikern 
zu zählen. Aber Burgi war nicht nur ein außerordentlicher Mathematiker, er war auch ein ungewöhnlicher 
astronomischer Beobachter und gleichzeitig einer der genialsten Instrumentenbauer und Uhrmacher. 
Bisher waren von Burgi nur einige Globusuhren (vgl. Abb. 162 3 und 173) und die eingangs genannte, in 
Bergkristall eingeschlossene Tischuhr als authentische Werke der breiteren Öffentlichkeit bekannt, 
obwohl 1938 P. Kirchvogel 4 auf Grund aufgefundener Rechnungsbelege eine viereckige, dosenförmige 
Tischuhr (vgl. Abb. 167 und 168) im Kasseler Landesmuseum als Werk Burgis in einer Beschreibung der 
Kasseler Instrumentensammlung angeführt hat. Die uhrentechnischen Einzelheiten Jost Burgis aber 
waren erstaunlicherweise kaum erforscht worden. So völliges Dunkel war über Jost Burgis diesbezügliche 
Arbeiten gebreitet, daß man durch Jahrhunderte annahm, Burgi hätte unter Vorwegnahme der epochalen 
Entdeckungen Galileo Galileis und Huygens’ das Pendel als Zeitmesserorgan erfunden und verwendet. 
Erst 1949 hat F. Mesnage 5 Einzelheiten der im Louvre aufbewahrten Globusuhr von Burgi beschrieben, 
die neben ungeahnter Vollkommenheit des handwerklichen Könnens auch außerordentliche astro 
nomische Kenntnisse Burgis an den Tag gebracht haben, die aber über die prinzipielle Frage nach Burgis 
Sekundenweisungsmethode keine Aufklärung geben. 
I. 
Dank dem besonderen Entgegenkommen der Leitung des Kunsthistorischen Museums in Wien ist es 
dem Verfasser möglich gewesen, das Werk der Bergkristalluhr — wohl zum ersten Male seit ihrem Be 
stehen eingehend zu analysieren und dabei einen Mechanismus festzustellen, welcher eine weit höhere 
Präzision der Zeitmessung als alle bisher bekannten Uhrwerke des 16. Jahrhunderts ergibt. Die ge 
fundenen technischen Eigenheiten wurden vor kurzem« eingehend beschrieben. Hier soll darüber nur 
soviel gesagt sein, daß es sich um eine sehr geniale Apparatur handelt, die die Ungenauigkeiten und 
Schwankungen, denen die früheren, zum Teil mit Borstenbegrenzung arbeitenden Regulierungen 
ausgesetzt waren, recht wirkungsvoll verringern. 
Die Auffindung des Mechanismus — nach der gegenläufigen Bewegung von zwei Schwungsystemen als 
Kreuzschlag bezeichnet — hat die Lösung der mehrere Jahrhunderte alten Streitfrage gebracht, ob 
Burgi für Tycho Brahe und Kepler Sekundenpendel gebaut hat oder nicht, Nun wissen wir, daß Burgi 
keine Sekundenpendel und überhaupt keine Pendeluhren gebaut hat, sondern Kreuzschlaguhren, 
welche ebenfalls recht genau Sekunden angeben können. Als meßtechnisch-horologische Leistung ist der 
Kreuzschlag den Hauptleistungen der Zeitmeßkunst ebenbürtig und verdient als solcher entwicklungs 
geschichtlich größte Anerkennung. 
Ausgehend von der Untersuchung der Bergkristalluhr, die von Burgi an zwei Stellen signiert ist, 
und den dabei festgestellten konstruktiven und ausführungsmäßigen Eigenheiten, hat sich die Möglich 
keit ergeben, vier weitere, nicht signierte Uhren eindeutig als Werke Burgis zu agnoszieren. Zwei der- 
.) Aus Gründen, die ün Thema gelegen sind, werden die Anmerkungen ausnahmsweise geschlossen am Ende der Ab- 
Handlung gedruckt.
	        
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