Full text: Band 15 (N.F.) (XV=51)

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Ludwig Baldass 
Zwei Staffeleibilder in den Uffizien mit der „Feuerprobe des Kindes Moses“ und dem „Urteil Salomonis“ werden seit Cavalcaselle 
von vielen Forschem als Jugendwerke Giorgiones angesprochen. Qualitätsunterschiede der Ausführung machen sich bemerkbar. 
Die Bäume und das Buschwerk sind ziemlich schematisch wiedergegeben, die Fernlandschaften des zweiten Planes hingegen, 
die dem Künstler offenbar die Hauptsache waren, liebevoll durchgeführt. Dennoch rühren nach meiner Überzeugung alle land 
schaftlichen Teile beider Bilder von einer und derselben Hand her. Das gleiche gilt von den Staffagefigürchen des zweiten Planes. 
Von den handelnden Figuren des Vordergrunds sind bei dem Bilde mit der Feuerprobe die der Hauptgruppe in der Mitte (vgl. 
Longhi, Viatico, 1952, T. 101) eleganter und leichter bewegt als die an den Rändern, an denen vor allem das Verstecken der 
Hände auffällt. Dieser Stilunterschied zwischen den Haupt- und Nebenfiguren ist aber nur im Entwurf, nicht auch in der Aus 
führung bemerkbar, ln den Gesichtstypen, sowie in den Details der Durchbildung der Gewandung, zeigen sieh keine Abweichungen 
zwischen den mehr und den weniger gelungenen Gestalten. Die Annahme der Beteiligung eines Gehilfen scheint mir die Qualitäts 
unterschiede weniger gut zu erklären als die der Benützung einer (gezeichneten ?) Vorlage für die Mittelgruppe. Die von G. Fiocco, 
L’Arte 1915, richtig beobachtete Tatsache, daß die Figur der jungen Frau mit dem Kind in einem Fresko Campagnolas in der 
Scuola del Carmine zu Padua wiederkehrt, deutet darauf hin, daß beide Figuren auf ein gemeinsames Vorbild zurückzuführen 
sind. Dagegen dürften die härter und ungeschickter bewegten Gestalten des Gegenstücks, die übrigens teilweise recht unangenehm 
vom Vordergrund überschnitten werden, nach Vollendung der Landschaft durch den Hauptmeister von einer schwächeren Hand 
ausgeführt worden sein. Die meist hellfarbigen, bisweilen aber auch tiefdunkel gekleideten Figuren der Feuerprobe sind schlanker, 
graziler und spielerischer als die des Altarbildes von Castelfraneo oder der ,,Tempo3ta“. Von den Einzelheiten der Landschafts 
gestaltung ist die Behandlung des Laubes der des Philosophenbildes und der „Tempesta“ sehr ähnlich, und die Wiedergabe des 
Vordergrunds erinnert an das genannte Hauptwerk Giorgiones in Wien, die Durchführung der Architekturen aber an das in 
Venedig. Der Aufbau des Landschaftsbildes entspricht hingegen einer älteren Stilstufe. Einen so großen Teil der Bildfläche es 
auch einnimmt, ist es doch mit der davor befindlichen Figurengruppe in keiner Weise verbunden. Der Aufbau benützt die Versatz 
stücke und die scharfen Kulissen des Quattrocento. Mit dekorativem Geschick sind die Einzelheiten, die an Motive Giovanni 
Bellinis anklingen, additiv aneinandergefügt. Nirgends sehen wir die Einfachheit und die Naturnähe der reifen Landschaftsbilder 
Giorgiones. Als besonders merkwürdig muß es bezeichnet werden, daß einerseits die zahlreichen landschaftlichen Kulissen viel 
stärker in die Tiefe hmemgestaffelt werden als bei den wohlbeglaubigten Bildern Giorgiones und daß wir andererseits eine ähnliche 
Häufung rein bukolischer Motive, die jeder Großartigkeit entbehren, wie die romantischen Felsbildungen sie mit sich bringen, 
erst auf Spätwerken der Bellini-Werkstatt, also etwa von 1507 an, beobachten können. Eine einwandfreie Erklärung dieser Stil- 
diskrepanzen steht, noch aus. 
Die lesende Madonna mit der venezianischen Vedute im Fensterausschnitt ist erst seit ihrer Erwerbung durch K. T. Parker 
für das Ashmolean Museum in Oxford, also seit 1949, in den Vordergrund dos Interesses gerückt. Namhafte Forscher (Palluchini 
und H. D. Gronau, beide in Arte veneta 1949, Morassi in Burlington Magazine 1951, Lionello Venturi, Giorgione, Roma 1954) 
haben sich Parkers Bestimmung angeschlossen. Mit Recht bildet Lionello Venturi das Bild gegenüber der Tafel von Castelfraneo 
ah, denn dieses ist die einzige unter den wohlbeglaubigten Arbeiten Giorgiones, mit der sich Verwandtschaften im Typus der 
Madonna und in dem des Kindes erkennen lassen. Leider läßt die Erhaltung des sehr bunt gehaltenen Bildes zu wünschen übrig. 
Vor allem der Hintergrund ist nicht etwa unvollendet, sondern verwetzt, so daß nur die pastoser gemalten Stellen übergeblieben 
sind. Deutlich kann man dies an den vielen, kaum mehr erkennbaren Gondeln am Kanalufer erkennen, von denen nur mehr die 
Schnäbel sichtbar sind. Auffallend ist die betonte Stofflichkeit, z. B. ,1er Gegensatz der Steinbrüstung der Rückwand zu der 
gemaserten Holzbrüstung vorne, ein recht ungewöhnliches Motiv. Noch ungewöhnlicher aber ist der Bildaufbau, der nichts 
Quattrocenteskes mehr an sich hat, Die Isolierung der ganz mit sich beschäftigten Madonna, die ebensowenig Rücksicht auf den 
Beschauer nimmt, wie das Kind, ist etwas Neues. Der ins Wesenlose blickende Jesusknabe, der auch kompositionell mit der Mutter 
nur locker verbunden ist, hat einen (vielleicht einem verschollenen Bilde Giorgiones nachgebildeten) Körper, der stärker durch- 
gebildet und ausgewogen ist als der des Knäbleins im Altarbild von Castelfraneo, dessen Gesamtaufbau auf Bellini zurückgeht, 
mit dessen Kunst das Bild in Oxford kaum mehr etwas gemein hat. Auf der Giorgione-Ausstellung in Venedig hing die 
Oxforder Madonna mit Recht neben der auch koloristisch eng verwandten sacra conversazione der Accademia in Venedig. 
Sowohl die 1<arbgebung beider Bilder (z. B. das auffallende Gelb) als auch der Typus des Kindes kehren auf der sacra con- 
veisazione dos Louvre wieder, die jetzt zumeist Sebastiano del Piombo zugeschrieben wird, früher aber als Giorgione galt, 
(Abweichende Meinungen wurden geäußert von Wilde: enger Schulzusammenhang mit Sebastiano, von Dussler: enthält 
Formeigentümlichkeiten, die nur zögernd die Autorschaft Lucianis aussprechen lassen und von Berenson : Domenico Mancini). 
Es ist. die I rage aufzuwerten, ob die drei Bilder nicht Arbeiten eines erst von Giorgione, dann von Sebastiano beeinflußten 
Anonymo sind. Wahrscheinlich läßt die kurze Liste seiner Bilder sich noch vermehren. 
Die „Anbetung der Hirten“ in der National Gallery in Washington (früher Sammlung Allondale) war von verschiedenen Forschern 
Giorgione abgeschrieben worden, wird aber nun fast, von der gesamten neueren Literatur wieder als Werk des Meisters selbst 
geführt, Nur B. Berenson, der früher Catena als Maler vorgesohlagen hatte, dachte an ein Frühwerk Tizians, und H. u. E. Tietze 
schrieben G. Gronau (a. a. O.) folgend, der das Bild 1921 einem jüngeren Bellini-Schüler zuteilte, das Werk Giovanni Bellini 
(„painted in his shop“) zu, ohne bisher Gefolgschaft für diese Ansichten gefunden zu haben. Auf höherem künstlerischem Niveau 
zeigt sich hier ein ähnliches Problem wie bei den Staffeleibildern der Uffizien. Nur in der Fernlandschaft sind in Auswahl und 
additiver Aneinanderreihung der Motive Zusammenhänge mit der späten Bellini-Werkstatt gegeben. Die Gesamtanordnung aber 
steht auf viel vorgeschrittener Stufe als die der beiden Legendenbildchen in den Uffizien; sie zeigt eine durchaus einheitliche 
Komposition. Drei wesentliche Züge: die Asymmetrie des Bildaufbaues, sein aussehnitthafter Charakter, der stark betont wird 
durch den vom oberen Bildrand üborsehnittenen Felsen, und die reichen Licht- und Schattenkontraste, hat das Werk mit dem 
Philosophenbild gemein. Erscheint es begreiflich, daß diese neuen Züge, die in der vorbereitenden Zeichnung in Windsor noch 
nicht erkennbar sind, der Altartafol von Castelfraneo fehlen - erst zwei Jahrzehnte später wagte es Tizian, ein Altarbild in der 
Diagonale aufzubauen - so fällt es doch sehr auf, daß wir auch in der verschollenen, uns nur durch Kopien bekannten „Geburt
	        
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