Die Tat des Giorgione
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108. Giorgione, Kopf der Judith, Leningrad
sind völlig in sich selbst versunken. Der heilige Rochus wendet sich zwar den Gestalten seiner Andacht
zu, doch ist auch sein Blick nach innen gerichtet. Das Hauptgewicht liegt diesmal allein auf den Figuren,
die, wie schon auf dem Judithbilde, fast die ganze Höhe der Bildfläche einnehmen. Wir haben ein Werk
der klassischen Kunst vor uns, das Kenntnis der florentinischen Hochrenaissance voraussetzt. Die
offenbar unvollendete Landschaft ist nur Folie, lediglich der bewegte Himmel spielt im Gesamtaufbau
eine Rolle. Die rein lyrische Handlungslosigkeit in der Haltung der Personen ist völlig untizianisch
und schließt, wie ein Vergleich mit den energiegefüllten Figuren des Bildes der „Sacra Conversazione
des heiligen Markus“ in der Salute zu Venedig klar legt, diesen Künstler als Schöpfer der Komposition
aus. Die Eigentümlichkeit der Auffassung entspricht vielmehr völlig dem Temperament Giorgiones.
Die Einzelheiten der Formen- und Faltengebung zeigen zudem engen Zusammenhang mit dem Altar
bild in Castelfranco und mit der „Judith“ in Leningrad. Hier aber ist alles weniger kleinteilig, die
Proportionen sind gedrückter, die Gesichter nähern sich den Typen der — uns durch Zanettis Radie
rungen bekannten Gestalten der Fondaco-Fresken. Die Entstehung des Werkes ist nicht vor 1508
anzusetzen.
Im Bewegungsmotiv steht dem „Heiligen Rochus“ des Madrider Bildes ein ebenfalls unvollendeter
den Drachen tötender Heiliger Georg in Landschaft sehr nahe. Das Bild ist schon von Waagen
als Bild von Giorgione beschrieben worden und befindet sich nun in der Sammlung Cini in Venedig 20 .
Das in den Fleischpartien fast nur angelegte Bild steht mit seinem leonardesken Profil und seiner eigen
artigen Schrägwendung frühen Schöpfungen des großen Florentiners näher als Arbeiten Tizians.
Unabhängig von der Bestimmung erscheint es mir ausgeschlossen, das Bild mit Hans Tietze in die
S«) Vgl. L. Ventuju, Giorgione, Rom J954. Nr. 45. Roberto Longhi, dem H. Tietze folgte, schrieb das Bild Tizian zu (H. Tietze.
Titian, London 1950, T. 50, S. 379). A. a. O. erwähnt G. Gronau einen „hl. Georg, ganze Figur vom Wasser und zwei Spiegeln
gespiegelt, bei Pino, Dialogo 1548, f. 27. v“.