Die Tat des Giobgtone
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105. Giorgione, Altarbild von Castelfranco
106. Lorenzo Lotto, die Pala in Asolo
sichter steht Giorgione im Gegensatz zu Lorenzo Lotto, der in seinem Altarbild von 1506 in Asolo den
Stil Bellinis nicht durch Vereinfachung, sondern durch Steigerung der Bewegung überwand.
Das Altarbild in Castelfranco zeigt aber auch Motive, die neu sind in der venezianischen Malerei.
Auf den ersten Blick fällt es auf, daß der spätquattrocenteske horror vacui aufgegeben ist. Dies lag nur
zum kleineren Teil im Auftrag, eine Santa Conversazione in ihrer einfachsten Form, nämlich der Mutter
Gottes mit zwei Heiligen, zu schaffen, zum größeren aber in der Tatsache, daß Giorgione seine Figuren
so einfach und ruhig gestaltete als nur möglich, mit dem Beiwerk sparsamst umging, nirgends Motive
häufte und auch vor leeren Flächen nicht zurückscheute. Noch hat Giorgione sichtlich nichts von der
florentinischen Hochrenaissance in sich aufgenommen. Dennoch läßt er die Schöpfungen eines mittel
italienischen Vorklassikers wie Perugino an Vereinfachung und Vereinheitlichung der Wirkung weit
hinter sich. Mit Werken dieses Umbrers und mit Gemälden des Bolognesen Francia 19 hat dieses Marien
bild Giorgiones nur die leicht empfindsame Note im Ausdruck der Gesichter gemein. Ein gemeinsamer
Stilausgangspunkt ist hier wahrscheinlich, wovon noch die Rede sein wird. Völlig neu aber sind zwei
Momente des Altarbildes von Castelfranco, der Farbenstil und die Landschaftsgestaltung.
Die malerische Gestaltung des Welkes übertrifft an Leuchtkraft weit die reifen Gemälde Giovanni
Bellinis. Überraschend ist schon die Farbenwahl. Der Hauptakzent in der Kleidung der heiligen Jungfrau
ist das komplementäre Rot-Grün. Von der traditionellen Gepflogenheit, um das rote Kleid der Mutter
Gottes einen blauen (oder allenfalls einen weißen) Mantel zu legen, ist also hier abgewichen worden.
Erstaunlich ist aber auch die malerische Wiedergabe der Köpfe. Die klare Durchbildung der Form bis
in jedes plastische Detail, die die Gesichter Bellinis auszeichnet, wird hier von einem weichen Sfumato
abgelöst, das an die Kunst Leonardos erinnert. Wir sehen dabei deutlich, daß Giorgiones Haupt
ausdrucksmittel die Farbe ist.
Zu beiden Seiten des Throns öffnen sich Ausblicke auf zwei auffallend einfache Landschaftsausschnitte,
die durch das Blau der ruhigen See koloristisch verbunden werden. Der linke Ausschnitt mit der
ländlichen Burg kann seine Herkunft von Hintergründen Bellinis nicht verleugnen, unterscheidet sich
von ihnen jedoch durch fehlende Häufung der Motive. Der rechte Ausschnitt hingegen mit dem
19 ) Vgl. auch R. Longhi, Viatico per cinque secoli di pitture Veneziana, Firenze 1952, p. 20. Meiner Überzeugung nach handelt
es sich hier lediglich um eine parallele Stilströmung.
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