Full text: Band 15 (N.F.) (XV=51)

Ludwig Baldass 
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an, gibt aber auch durch Einfügung einer Hand und den auf den Beschauer gerichteten Blick 18 jene 
Belebung, die wir von Frühwerken Raffaels (Jünglingsporträt in Budapest) kennen, behält jedoch 
statt des belebten Landschaftshintergrunds des Urhinaten den neutralen des Dogenporträts Bellinis 
bei. Kenntnis des neuen klassischen Stiles der Florentiner Hochrenaissance finden wir im ersten Jahr 
zehnt in Venedig nur bei Giorgione und bei Sebastiano vor. Das Sfumato des Gesichtes, das so ver 
schieden ist von der harten Formgebung Sebastianos, die Beseelung des Blickes, die lediglich als dunkle 
Folie für das Antlitz gestaltete Masse der Haare und die auch heute noch ahnbaren Feinheiten der 
malerisch freien Behandlung des fliederfarbenen Gewandes sprechen für Giorgione als Autor. 
Die stilkritisch bestimmten rein figuralen Werke Giorgiones gehören sämtlich seinen letzten Lebens 
jahren an und klären das gewonnene Bild vom Wesen seiner Kunst, die je nach der Aufgabe idealisierend 
oder veristisch ist, und bereichern vor allem unsere Kenntnis von seiner Porträtmalerei. Vor diesen 
Bildern gewahren wir noch deutlicher als vor der „Laura“, daß ein offener und bewußter Bruch mit 
der Malauffassung und dem Malvorgang des Quattrocento stattgefunden hat. 
2. Das Altarbild 
A. Die ,,Madonna von Castelfranco“ 
Der Michelangeloschüler Vasari sah das Hauptgewicht der Tätigkeit Giorgiones in den rein figuralen 
„Fondaco-Fresken“. Für die Weiterentwicklung der venezianischen Malerei waren aber andere seiner 
Werke, die mehrere Figuren, und zwar in der Landschaft, wiedergeben, von größerer Bedeutung. 
Die eigenartigsten Stilmerkmale der Kunst Giorgiones offenbaren sich daher am klarsten im Altarbild 
und mehr noch im Staffeleibild. 
Nur ein Altarbild Giorgiones ist uns literarisch überliefert: die „Madonna von Castelfranco“ (Abb. 105). 
Von allen seinen gutbeglaubigten Werken ist dieses am stärksten in der venezianischen Kunst um 1500 
verankert. In den Altarbildern Giovanni Bellinis können wir die Vorstufen für den Bildaufbau, für die 
Figurentypen und für verschiedene Motive der Landschaftsgestaltung erkennen. Die Figuren des 
Altarbildes von Castelfranco sind von der Landschaft durch eine Wand geschieden. Dieses Motiv der 
trennenden Brüstung, das auf Bellinis Altarbild in San Pietro in Murano bemerkbar ist, wird im Laufe 
des ersten Jahrzehnts des sechzehnten Jahrhunderts von der jungen Künstlergeneration aufgegeben. 
Als Lorenzo Lotto 1506 vor die Aufgabe gestellt war, ein Bild ähnlich aufzubauen wie die „Madonna 
von Castelfranco“, hat er in seinem für die Kirche von Asolo gemalten Altarbild, der „Pala in Asolo“ 
(Abb. 106), die drei Figuren ganz einer landschaftlichen Szene eingefügt und die Konturen der Gestalten 
mit den Einzelformen der Landschaft in engen kompositioneilen Zusammenhang gebracht. Der in 
Treviso tätige Meister erhob die Füße seiner Madonna nur bis zur Brusthöhe der Heiligen über den 
Erdboden und verband die Assistenzfiguren durch die Engel der Himmelsglorie mit der Hauptfigur 
der Gruppe. Giorgione hingegen setzte dieMadonna (Abb. 105) auf einen überhohen, ganz unornamentierten 
Thron, dessen Sockellinie die Scheitel der Heiligen überragt. Ein ähnlicher überhoher Thron kommt 
gelegentlich im späten Quattrocento in Oberitalien vor, doch entsprang in diesen Fällen die Überhöhung 
äußeren Gründen. So dient sie auf dem 1488 gemalten Altarbild des Lorenzo Costa in San Giacomo 
Maggiore in Bologna nicht der Distanzierung der Madonna, sondern leitete sich von der Notwendigkeit 
ab, eine große Anzahl von Personen auf der Bildfläche unterzubringen. In Giorgiones Altarbild sind 
außer der Brüstung auch die schwarze Wand hinter den Heiligen, in der der neutrale Hintergrund des 
Quattrocento nachlebt, und der kleinteilige Faltenwurf (Abb. 109) traditionsgebundene Motive. Es muß 
aber sehr wohl bemerkt werden, daß die Draperie keine der gebrochenen Linien mehr zeigt, die wir 
noch auf Giovanni Bellinis „Sacra Conversazione“ von 1505 in San Zaccaria beobachten können. In 
der Schlichtheit der Gestaltung und in der geringen Differenzierung der nicht individualisierten Ge- 
ls ) Den gleichen Porträtstil zeigt auch das mir im Original nicht bekannte Brustbild eines Mannes im Museum von S. Diego (früher 
in den Sammlungen Curror und Terris, vgl. L. Venturi, Giorgione, Rom 1954, Nr. 33, der von einer cinquecentesken Schrift 
auf der Rückseite des Malbrettes berichtet, nach der das Bild 1508 von Giorgione gemalt ist). 
Kine genaue Betrachtung der Doppelbildnisse aus Giorgiones unmittelbarer Gefolgschaft erlaubt die im nächsten Jahrbuch aus 
zuführende Hypothese, daß Giorgione einen neuen Bildtypus für diese Porträtgattung geschaffen hat, dessen Darstellungsart 
rekonstruiert werden kann.
	        
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