EIN UNBEKANNTES BILDNIS VON
ANTONELLO DA MESSINA.
VON JOHANNES WILDE.
D er kleinen Reihe bekannter Bildnisse Antonellos kann ein neues eingegliedert werden. In altem öster
reichischen Besitz, im Gastzimmer eines Wiener Adelspalastes, wurde vor einigen Monaten ein Freund
des Hauses auf ein Jünglingsbildnis aufmerksam und legte es dem Verfasser zum Studium vor. Wiewohl
ein dunkler Galerieton weitgehende Übermalungen verhüllte, konnte doch der Maler an der Form der
ganzen Büste sowie an einigen klarer sichtbaren Einzelheiten festgestellt werden. Die Entfernung der
fremden Zutaten, durch die ein wohlmeinender »Restaurator« vor etwa achtzig Jahren dem Bilde das
Aussehen eines Biedermeierporträts gegeben, bestätigte voll die Zuschreibung an Antonello da Messina. —•
Die Abdeckung enthüllte auch Schäden in der ursprünglichen Farbschicht. Mehrere Fehlstellen — im Gewand,
in der beschatteten Partie der Haare, im Grund — kamen zum Vorschein, und es stellte sich heraus, daß
im Gesicht, hauptsächlich bei den Übergängen von Licht über Halbschatten zu Schatten, die Oberfläche
teilweise verwetzt ist, — typische Beschädigungen, wie man sie an vielen Werken Antonellos beobachten
kann und die mit seiner umständlichen, lasierenden Malweise Zusammenhängen. Hingegen war alles für den
Aufbau Entscheidende, Augen, Nase, Mund, Haare über der Stirn und — das vielleicht wichtigste — der
Übergang zwischen Gesicht und Hals unversehrt unter den Übermalungen erhalten geblieben. Eine von
Sebastian Isepp durchgeführte vorsichtige Restaurierung, die sich auf das Notwendigste beschränkte, sollte
wieder eine ruhige Bildwirkung ermöglichen (Taf VIII).
Das Bild ist auf ein 7 mm starkes, querlaufendes Pappelholzbrett gemalt, dessen Rückseite mit braun
roter Leimfarbe angestrichen und mit hellerem Braun gesprenkelt ist, eine wohl ursprüngliche Marmorierung,
die zum Schutz diente. An den seitlichen Rändern der Rückseite sind je 2 mm der Facettierung da, so daß
die Tafel der Breite nach nur um je Va cm beschnitten sein kann; sie ist jetzt 26 cm breit. Eine Be
schneidung der Flöhe nach legt der Umstand nahe, daß unten und oben die Facettierung ganz fehlt und
der obere Rand nicht waagrecht verläuft: die Bildfläche ist am linken Rand gemessen 3i'3cm, rechts 3l'6cm
hoch. Es kann unten sehr wohl eine niedrige Brüstung mit dem cartellino entfernt worden sein, während
oben, nach dem Aufbau zu urteilen, nur wenig fehlen kann. Der Vergleich mit den übrigen erhaltenen
Bildnissen Antonellos ergibt, daß es sich auch in diesem hall um jenes Normalformat handelt, an das sich
der Maler wie an einen Kanon gehalten hat. 1 Maße und Ausschnitt bleiben bei ihm immer gleich, und
doch zeigt diese äußerlich so gleichförmige Reihe die denkbar reichsten Abwandlungen.
Die Büste steht auf tiefschwarzem Grund, von dem sich das Rote des Gewandes, das dunkle Schiefer
grau des Überwurfes und das rötliche Kastanienbraun der Haare weich und zugleich klar abheben. Das
Gewand ist ziegelrot untermalt, war aber ursprünglich ganz mit Krapprot lasiert, das heute nur im Halb
schatten der linken Schulter und dort, wo es neben dem Schwarz der Schatten selbst dunkel auftritt,
unberührt erhalten ist. Die Lippen sind rosafarben, die Iris dunkelbraun; das Karnat zeigt an den belichteten
Stellen — Stirn, Wangen, Nasenrücken, Kinn — ein helles Rosa, in den Halbschatten bräunliches Gelb, im
Schatten unter dem Kinn ein durchsichtiges Olivbraun, das von dem Reflex des weißen Hemdkragens auf
gelichtet wird. Die Konturen sind von größter Präzision. Die doppelt anscliW'eilende Kuive des linken
Gesichtsumrisses wird in der Linie der Nase wiederholt. Der Umriß des Lackens läuft ohne Lnterbrechung
in der Schulterlinie weiter. Die Haare sind so geteilt, daß sie die klassisch klare Form des Gesichtsovals
hervorheben, über dem Ohr sind die Locken nach vorne gekämmt, ein kaum vertiefter Scheitel betont
die Mittelachse. Wie die Fruchthülle die Eichel, umschließt diese Frisur den Kopf. Der Masse der über dem
Nacken herabfallenden Haare hält links der schwarze Überwurf mit seinen vertikalen leilungen das Gleich
gewicht, zwei rahmende Formen, zwischen denen die Falten des Wamses vermitteln. Die kunstvolle Einfach
heit dieses Aufbaus spricht sich auch im Kubischen aus, mit suggestiver Eindeutigkeit zeigt der weiße,
von zartem Blau geränderte Streifen des Hemdkragens die zylindrische hoim des Halses an, ebenso wie das
weiche Relief der Gewandfalten die Wölbung der Büste. Eine helle Brüstung, die diese lapidaren Formen
1 Die einzige Ausnahme das fast miniaturhafte Berliner Porträt mit dem unleserlichen Datum.
IO Jahrbuch N. F. IX.
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