Full text: Band 9 (N.F.) (IX=45)

Aus der Frühzeit der Kärntner Tafelmalerei. 
der Parallelbeispiele auf der anderen Seite nicht unbeträchtlich erhöht wird. Unter dem Aspekt der Kärntner 
Malerei fiele sodann die Beobachtung ins Gewicht, daß die erörterten Übereinstimmungen mit der An- 
näherung an den österreichischen Boden eine sichtliche Steigerung erfahren und mit der Hinwendung zum 
tirolischen Lichtmeßspiel ihren Höchstgrad erreichen; dazu kämen noch jene leicht zur Kette aufzureihenden 
Argumente, laut deren die Erlauer von I irol und Wien her angeregte — Marienklage zu Gmünd im 
Liesertal beheimatet ist, 6 ' die im Verzeichnis des Sterzinger Malers und Spielleiters Vigil Raber zum Jahre 
1 534 angeführte »Passion des Felixn von Villach« 68 desgleichen auf eine alte Lokaltradition und tirolischen 
lauschverkehr deutet und die bäuerlichen Vermittler der »Christileiden«- und anderer Volksschauspiele der 
kärntnerischen Gegenwart 69 wohl noch heutzutage auf gewohnten Straßen nach Osttirol wandern. 
Seitdem E. Male den Einfluß der Passionsbühne auf die bildende Kunst des späteren Mittelalters zur 
Allmacht erhoben hat, ist seine mit einer bewunderungswürdigen Fülle wissenschaftlicher Erudition, aber 
auch mit einer bedenklichen petitio principii und unter fortwährenden Zirkelschlüssen verfochtene These 
Modesache und von Vertretern der Kunst- wie der Theatergeschichte immer wieder auf die Spitze getrieben 
worden. 70 Mit Rücksicht auf die eben beendeten Ausführungen fühlt sich daher der Verfasser der vorliegen 
den Zeilen zu dem Geständnis verpflichtet, daß er im allgemeinen weit eher an Wechselbeziehungen und 
an das übergeordnete Primariat der zeitbedingten Geisteshaltung glaubt. In diesem Sinne und zur endlichen 
Einlösung eines wiederholten Versprechens 71 sei es gestattet, auf das von dem genannten Gelehrten einer 
theatralischen Herkunft bezichtigte Motiv des Brei kochenden Josef zurückzukommen, das in der 
Tat zwischen 1400 und 1450 in französischen Mysterien- und weiterhin in deutschen »Weihnachts«-Spielen 
anzutreffen ist. 72 Aber selbst abgesehen davon, daß diesmal wohl auch die epische Dichtung an der 
Typenwanderung mitwirkt und die frühen böhmischen Fresken bis auf Weiteres der bildenden Kunst 
einen zeitlichen Vorsprung verschaffen, ist bei einem aus dem Alltag geholten Genremotiv in der Periode 
des erwachenden Naturalismus nicht nur mit einer beiden Kunstgattungen gemeinsamen Darstellungs 
freudigkeit, sondern auch mit dem spontanen Walten der Volksphantasie zu rechnen, die jenseits 
aller zeitlichen und örtlichen, literarischen und bildkünstlerischen Bindungen die Figur des heiligen Nähr 
vaters Josef mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet. Nicht anders haben es die 
Kärntner Maler des 15. Jahrhunderts, nicht anders hat es das kärntnerische Volksschauspiel der jüngsten 
Vergangenheit gehalten: In einem Weihnachtsspiel von der kärntnerisch-italienischen Sprachgrenze 73 besingt 
67 Vgl. K. F. Kummer, Erlauer Spiele. Sechs altdeutsche Mysterien nach einer Handschrift des XV. Jhdts. zum erstenmal 
herausgegeben und erläutert. Wien 1882, Einleitung S. XXVIff. 
68 Vgl. J. E. Wackernell, Die ältesten Passionsspiele in Tirol, Wien 1887, S. IX und Nagl und Zeidler, a. a. O., S. 443/44 
und 349. 
69 Von seinen durch die Gewinnung der Texte wie durch die literarhistorischen Einleitungen gleich verdienstlichen Aus 
gaben der »Kärntner Volksschauspiele« hat G. Gräber bisher die folgenden Hefte veröffentlicht: I. Weihnachtsspiel; II. Das 
Kärntner Paradeisspiel. Kärntner Jedermann; III. Das Kärntner Spiel vom Leiden und Sterben Christi = Deutsche Hausbücherei, 
hrsg. vom Österreichischen Volksbildungsamte, Bd. 68 (Wien 1922), 73 (Wien 1923) und 82 (1923). 
70 Die nicht allzu zahlreichen Gegenstimmen hat z. B. K. Künstle, Ikonographie der christlichen Kunst I, Freiburg i. Br. 
1928, S. rio/11, zum Chore versammelt. In der (mir derzeit unzugänglichen) II. Auflage seines Werkes: L’art religieux de la 
fin du moyen âge, Paris 1922, p. 11, scheint sich übrigens Mâle selbst einiger Übertreibungen beschuldigt zu haben — 
»peut-ètre â tort« sagt sein getreuester Gefolgsmann G. Cohen (Histoire de la mise en scène dans le théatre religieux 
frangais du moyen âge, Nouvelle édition, Paris 1926, p. XXVIII); erfreulicherweise hat sich während der Abfassung meines 
Manuskriptes gleichwohl auch seitens der Theatergeschichte ein Warner gefunden: vgl. H. H. Borcherdt, Das europäische 
Theater im Mittelalter und in der Renaissance, Leipzig 1935, S. 195, Anm. 38. — Wie weit durchschnittlich die unkritische 
Überschätzung des Einflusses der Passionsbühne geht, könnten etwa die Aufsätze K. Tscheuschners bezeugen, der im Reper 
torium für Kunstwissenschaft, Jg. XXVIII (1915), S. 47/48 den mit Traktat und Predigt der Mystiker zusammenhängenden, 
schon im 13. Jhdt. auftauchenden Typus der »Mater dolorosa« geradewegs von den Passionsspielen des 15. Jhdts. herleitet. 
71 Siehe weiter oben, S. 51 9 und 62. 
72 Für Frankreich hat E. Mâle (L’art religieux .... III, p. 36, schon früher in einer berühmten Aufsatzreihe der Gazette 
des Beaux Arts: Le renouvellement de l’art par les Mystères, Jg. 1904) die einschlägigen Belege erbracht, für Deutschland 
sind solche dem Sammelwerke K. Weinholds, Passionsspiele und Weihnachtslieder aus Süddeutschland und Schlesien, Neue 
Ausgabe, Wien 1873, zu entnehmen: daselbst kommen insbesonders je eine Stelle in dem »Geistlichen Gespiel« aus der oberen 
Steiermark (15—16. Jhdt.; a. a. O., S. 151) und in Benedikt Edelpöcks »Comedi von der freudenreichen Geburt Jesu Christi« 
(Handschrift der Wiener Nationalbibliothek von 1568, a. a. O., S. 213) in Frage; das erstgenannte Stück hat schon R. Back, 
Mittelrheinische Kunst, Frankfurt a. M. 1910, S. 59, zum Ortenberger Altar herangezogen. Der humanistische Theologe 
Dr. Johannes Eck verlangt, daß man den heiligen Josef der Weihnachtsspiele hinfort keinen Brei kochen lassen solle, »ne 
ecclesia dei irrideatur«: vgl. das Quellenzitat bei J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, München 1924, S. 227, Note 2. 
73 »Kärntner Volksschauspiele* I., Weihnachtsspiel. Hrsg, von G. Gtaber, Wien 1922, S. 31. 
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