W. Stechow.
auf der von Goltzius gestochenen Heiligen Familie, Abb. 275 5 ; in der Verzwicktheit der Stellung der Mutter geht Vermeyen
sogar noch einen Schritt weiter, wobei er freilich auch ein wenig verunglückt; Maria ist mit angezogenem linken Knie quer
gelagert, hält das Kind auf dem (überlang gezeichneten) rechten Arm, umfaßt es von oben mit dem linken und beugt den
schräg verkürzten Kopf zu dem des Kindes vor. Dabei ist aber ähnlichen Gruppen Sprangers gegenüber 6 eine weniger exakte
Strenge des formalen Aufbaues und eine leichtere, intimere, mehr genreartige Note zu konstatieren, die das Ausklingen des
Manierismus und die Nähe des Barock bezeugt. Darauf deutet auch die ziemlich lockere Kreidetechnik, die weniger auf Spranger
als den ebenfalls neben Vermeyen in Prag tätigen Hans von Aachen 7 deutet.
Wie steht es nun aber mit dem stilistischen Verhältnis zu den Reliefs der Kaiserkrone, das doch hier am stärksten
interessieren muß? Man muß aufrichtigerweise sagen, daß bei der Verschiedenheit von Aufgabe und Material ein bündiger
Schluß von der signierten Zeichnung Vermeyens auf den Erfinder der Kronenreliefs nicht gezogen werden darf, weder positiv
noch freilich auch negativ. Die Reliefs erscheinen zweifellos, wenn auch in geringem Grade, »manieristischer« und auch
»manierierter« als die Zeichnung; andererseits ist ebenso zweifellos der Kopf des Jesuskindes denen der Musen hinter Rudolf II.
auf der Türkenallegorie verwandt und finden sich Schwächen wie die überlangen Arme mit mangelnder Gelenkartikulation und
einer besonders unglücklichen Ellbogenlinie auf den Reliefs wie auf der Zeichnung. Besinnt man sich darauf, daß die berührte
stilistische Rückständigkeit und qualitative Schwäche der (ein klein wenig älteren) Reliefs in ihrer Zugehörigkeit zu einem durch
Tradition und technische Dinge stärker gebundenen Schaffensgebiet begründet sein kann (dort Hofgedicht, hier Freundes
plauderei), so scheinen die Ähnlichkeiten an Gewicht zu gewinnen.
W. STECHOW.
5 Abb. bei O. Hirschmann, Hendrik Goltzius (Meister der Graphik), Taf. XIV.
6 Vgl. besonders auch die in einem anonymen Stich und der Kopie von Uitewael danach erhaltene Fassung (Linde
mann, Uitewael, Utrecht 1929, Taf. XXVIII).
7 Vgl. die in dem Aufsatz von Peltzer in diesem Jahrbuch, XXX, 1911/12, S. 65 und 133 abgebildeten Zeichnungen.
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