Die weltliche Schatzkammer in Wien.
III.
In dem von Bock 266 mitgeteilten ordo ostensionis reliquiarum heißt es: »In secundo
transitu I. ostenditur corona Caroli Imperatoris, in qua reclusae sunt diversae reliquiae.«
Wenn hier nicht eine Ungenauigkeit oder eine Verwechslung vorliegt, so wäre es nicht
leicht vorstellbar, wo in der Krone Reliquien verschlossen gewesen sein sollten. Jetzt
sind jedenfalls keine mehr vorhanden. Vielleicht waren sie irgendwie mittels jenen Ösen
befestigt, die zu zweit innen je an den beiden Seitenplatten und an der Hinterplatte
rechts und links von der mittleren Öse Vorkommen. Die vier Mittelösen allein genügen,
wie die einzelne hinten an der Vorderplatte und der vorne und hinten nur in je
einer solchen Mittelöse steckende Bügel Konrads II. beweisen, auch zum Festhalten
der von mir angenommenen ursprünglichen beiden einander kreuzenden Flachbügel.
IV.
Schlosser hält auch das schöne Lederbehältnis für die Krone für eine deutsche,
wahrscheinlich für eine Nürnberger Arbeit um die Wende des 15. Jahrhunderts 267 .
Es zeigt in Schnitt und Farben neben dem deutschen Reichsadler den doppelschwänzigen
böhmischen Löwen und ist zweifellos, wie schon Bock richtig erkannt hat und auch
die Verfasser des die Kroninsignien des Königreiches Böhmen behandelnden Bandes
der böhmischen Kunsttopographie angenommen haben 268 , in derselben Prager Werkstatt
entstanden wie das Lederfutteral für die Wenzelskrone, das gleichfalls nebeneinander
den deutschen Adler und den böhmischen Löwen zeigt. Diese Kapsel ist von 1347
datiert, die für die deutsche Kaiserkrone wird daher bald nach der Überführung
der deutschen Reichskleinodien nach Prag am 21. März 1350 von Karl IV. in Auftrag
gegeben worden sein.
Die heilige Lanze.
Adolf Hofmeister ist in seiner hier bereits mehrmals zitierten Schrift über die
heilige Lanze zu dem aufsehenerregenden Schluß gekommen, daß die heute in Wien
verwahrte Lanze (Abb. 26) nicht mehr die um 960 von Liudprand von Cremona als
Konstantinslanze beschriebene Lanze sein könne. Diese müsse vielmehr, wahrscheinlich
unter Heinrich IV., abhanden gekommen und durch eine andere, die heute noch in
Wien zu sehende, ersetzt worden sein. Von dem Aussehen der ursprünglichen Lanze
gebe die im Krakauer Domschatz verwahrte eine Vorstellung 269 .
Dieses von Schlosser 270 unwidersprochen hingenommene Ergebnis hat jenen Autor,
der zuletzt über die heilige Lanze geschrieben hat, Wilhelm Erben, zu dem Wunsche
veranlaßt, der ganze Sachverhalt möge aufs neue untersucht werden. Vielleicht käme
man dann doch zu einer anderen Meinung und könnten die in Betracht kommenden Herrscher, vor allem
der unglückliche Heinrich IV., von der Schmach, dieses Reichskleinod weggegeben oder verloren und durch
eine Kopie ersetzt zu haben, befreit werden 271 .
Diesem Wunsche zu entsprechen, soll im folgenden versucht werden. Ich möchte dabei den entgegen
gesetzten Weg einschlagen wie Hofmeister. Er geht von der Schriftquelle und von einer der paar von
alters her neben der Reichslanze bestehenden heiligen Lanzen aus, ich nehme von der noch heute im alten
Reichsschatz zu Wien aufbewahrten Lanze meinen Ausgang. Wer von uns beiden bei seinen Folgerungen
gewalttätiger vorgeht, möge der Leser, namentlich der kunsthistorische, dessen geschulte Augen gewohnt
266 1. c., Anhang, S. 51.
267 Schatzkammerwerk, S. 72.
268 Topographie der historischen und Kunstdenkmale im Königreiche Böhmen. Die königliche Hauptstadt Prag: Hradschin-
III. K. Chytil, A. Podlaha und R. Vrba, Die Kroninsignien des Königreiches Böhmen. Prag 1912, S. 61 ff.
269 Adolf Hofmeister, Die heilige Lanze. S. 44 ff. und S. 70 ff.
270 1. c., S. 13 und 44.
271 Wilhelm Erben, Die Waffen der Wiener Schatzkammer. Zeitschrift für historische Waffenkunde. VIII. Bd. (Dresden
1918 bis 1920), S. 361 ff.
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Abb. 20. Die Reichs
lanze in der Wiener
Schatzkammer.
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