Die weltliche Schatzkammer in Wien.
Als Ergebnis dieses Abschnittes wäre zu
buchen, daß nach der Form der Darstellungen
auf der Rückseite das Kreuz eher ins II. Jahr
hundert, nach ihrem Inhalt aber ins 11. oder
12. Jahrhundert anzusetzen wäre.
Gravierung und Niello am Reichskreuz
und am kleinen Kreuz der deutschen
Kaiserkrone.
Sieht man sich nach stilistisch verwandten
niellierten Gravierungen um, so findet sich die
jenige, welche zweifellos mit der auf der Rückseite
des Reichskreuzes aufs engste zusammenhängt,
in dessen allernächster Nähe, nämlich hinten auf
dem kleinen Kreuz der Kaiserkrone (Abb. ig).
Man sehe sich bloß das breite, flache Kinn hier
beim Gekreuzigten, dort bei den Aposteln
Thomas und Jacobus und beim Engel des
Matthaeus an. Oder die Nase, wie sie mit einem
Strich von der Braue den Rücken hinabgeführt
ist, unten breit wird und in einem Punkt, der vom
Umriß ihres Rückens ziemlich weit entfernt ist,
am tiefsten hinabreicht. Oder die Augen, die
auch an den Aposteln wie beim Christus mit
drei Querstrichlein und einem Punkt gezeichnet
sind. Oder den Mund, der immer aus einem
dreifach gewellten längeren oberen Strich und
aus einem kleineren Querstrichlein darunter
gebildet ist, das aussieht wie ein Senkungs
zeichen beim Skandieren. Oder die langen un
gegliederten Finger und Zehen. Oder der letz
teren Abschluß gegen den Rist zu durch eine nach außen gekehrte Bogenlinie. Beim Gekreuzigten ist sie
einfach, bei den Aposteln einfach oder doppelt. Einfach z. B. beim heiligen Simon und beim heiligen
Thaddaeus. Oder die beiden flachen Bogen, die nach außen offen sind und deren Scheitel sich berühren.
Mit ihnen wird hier wie dort die Innenzeichnung der Hände bestritten. Auch die Buchstabenformen
decken sich auf den Rückseiten des großen und des kleinen Kreuzes vollkommen (das Ä mit den wag
rechten Querstrichen oben und in der Mitte, das E mit den drei gleich langen Querstrichen, das M, dessen
Spitze nur bis zur Hälfte der beiden senkrechten Schäfte reicht, das R, dessen Füßchen rechts nicht vom
senkrechten Stamm, sondern unten vom Bäuchlein eines P abzweigt, die Ligatur ^S). Hier wie dort ist
mit dem sogenannten Tremolierstich gearbeitet. Der Crucifixus auf dem kleinen Kreuz der Krone ist
nur als die offenbar weniger wichtige Arbeit etwas flüchtiger oder sagen wir: nachlässiger durchgeführt.
Alles in allem erachte ich aber die Übereinstimmung für so groß, daß ich mich zu behaupten erkühne,
der Crucifixus auf dem kleinen Kreuz der Krone und die Darstellungen auf der Rückseite des Reichskreuzes
sind nicht nur von derselben Werkstatt, sondern sogar von derselben Hand geschaffen worden.
Der Crucifixus hinten auf dem kleinen Kreuz der Krone hat bereits Murr verlockt, ihn als Behelf für
die Datierung zu verwenden 214 . Rosenberg hat in allerjüngster Zeit dasselbe getan 215 . Ich glaube aber, daß
man hier sehr vorsichtig sein muß, weil sich dieser Typus sehr lange unverändert erhält, wohl vom io. über
das II. bis ins 12. Jahrhundert hinein, so daß man ihn wohl im großen ganzen als den Typus des II. Jahr
hunderts ansprechen kann, auf Grund von ihm allein aber nur mit geringer Sicherheit genauer zu datieren
vermag.
214 S. oben S. 19. — 2,5 S. oben S. 22.
Abb. 19. Gravierung an der Rückseite des angesteckten Kreuzes
der Kaiserkrone.
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