Die weltliche Schatzkammer in Wien.
Die Darstellungen auf der Rückseite des
Kreuzes.
Das Lamm zwischen den vier Evangelisten
symbolen (Abb. ij—/<?), eine Zusammenstellung, von der
Kondakow 192 behauptet, daß sie dem byzantinischen
Kunstkreis unbekannt sei, ist, wie wir bereits gesehen
haben, in Deutschland im 11. Jahrhundert offenbar eine
sehr beliebte Darstellung und kommt wie beim Reichs
kreuz, namentlich auch graviert, auf der Rückseite von
Kreuzen öfter vor. Es findet sich aber auch schon in
Buchmalereien, auf einem Zierblatt sowohl des Codex
aureus von St. Emmeram (870, Ende des 10. Jahrh. über
arbeitet), als auch des Sakramentars Heinrichs II.
(1002—1014) 193 . Anders steht es mit der Vereinigung
von Lamm und Evangelistensymbolen einerseits, mit
den Apostelfiguren andererseits. Eine derart zusammen
gesetzte Darstellung vermag ich ein zweitesmal nicht
nachzuweisen.
Allein freilich sind die sitzenden Apostelgestalten
(.Ahb.ij—16), insbesondere auf Reliquienschreinen und
Tragaltären, im 12. und 13. Jahrhundert ungemein
beliebt. Man braucht bloß Falke-Fraubergers Veröffent
lichung über die Düsseldorfer Ausstellung durchzublättern und findet sie fast auf jeder zweiten, dritten Tafel,
in Schmelzwerk ausgeführt, in Bronze gegossen, in Kupfer getrieben, in Elfenbein geschnitzt oder auch graviert.
Graviert kommen sie z. B. vor auf dem Rogkerus-Tragaltar in Paderborn (1100) 194 , auf den beiden Tragaltären des
Eilbertus in Siegburg 195 und in Maria-Gladbach 196 (beide Köln, um 1135) und auf den beiden Tragaltären in der
Kirche zu Lette in Westfalen 197 . Es ist, als ob die romanische Kunst, wie sie beim Bauen der Wagrechten gegen
über der Lotrechten den Vorzug gab, auch den sitzenden Menschen lieber als den stehenden dargestellt hätte.
Ist aber namentlich das 12. Jahrhundert überreich an Beispielen der sitzenden Apostel, so scheinen sie
dagegen im 11.Jahrhundert nur höchst selten vorzukommen. Immerhin zeigt sie ein so bedeutendes Werk
wie der ungarische Krönungsmantel vom Jahre 1031 198 .
Die hieratisch wirkenden Sitzfiguren auf der Rückseite des Reichskreuzes, mit ihren untereinander nur
kaum veränderten Motiven, lassen deutlich erkennen, daß man es hier mit einem alten, immer und immer
wiederholten Typus zu tun hat. Tatsächlich kommen z. B. auf dem Mindener Ölgefäß (Ciborium?) aus getrie
benem Silberblech 199 zwei Apostelfiguren vor, deren eine das Buch in den Schoß gestellt, die Rechte darauf
gelegt und die Linke im Sprechen erhoben hat, genau so wie auf dem Reichskreuz der Apostel Thaddaeus,
und deren andere das mit der Rechten unten angefaßte Buch weghält und die Linke, deren Unterarm wag
recht verläuft, im Sprechen vor die Brust gestreckt hat, genau so wie auf dem Reichskreuz der heilige
Philipp, nur daß hier und dort rechts und links vertauscht sind.
Wichtiger ist die Übereinstimmung des thronenden Heilandes auf der von Otto III. gestifteten, um das
Jahr 1000 angefertigten Pala d’oro des Aachener Münsters 200 mit ein paar Apostelgestalten auf der Rückseite
des Reichskreuzes. Der obere Teil von des Erlösers Gewand auf dem Aachener Relief, die gürtelförmigen
192 Kondakow, 1. c., S. 177, Anm. 1.
193 Swarzonski, Regensburger Buchmalerei, Taf. VI, Nr. 15 und 16.
194 Falke-Frauberger, 1. c., Taf. 9. — 195 Falke-Frauberger, 1. c., Taf. 20. — 196 Falke-Frauberger, 1. c., Taf. 23, 24.
197 A. Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen, Kreis Wiedenbruck. Münster i. W. 1901, S. 43, Abbildung auf
S. 44, Taf. 19 und 20.
198 Bock, 1. c., S. 84 ff., Taf. XVII, Fig. 24. — Czobor Bela und Radisics Jenö, Les lnsignes royaux de Hongrie, Budapest.
1896, S. 22 ff., Taf. IV.
199 A. Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen, Kreis Minden. Münster i.W. 1902, S. 75, Taf. 35.
200 Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Stadt Aachen. Karl Faymonville: 1. Das Münster zu Aachen. Düsseldorf 1916,
S. 124 ff., Taf. VIII, und besonders Fig. 80 auf S. 123.
6 Jahrbuch N. F. I.
41