Die weltliche Schatzkammer in Wien.
Das Reichskreuz (Âbb. io) steht sowohl
seiner Gestalt als auch seiner Verzierung nach
unter den erhaltenen Denkmälern keineswegs
vereinzelt da. Es gibt vielmehr etwa zwei
Dutzend Kreuze, die damit mehr oder weni
ger verwandt sind.
Es ist kein Vortragekreuz, sondern ein
Standkreuz. Der Kern ist Eichenholz, das
im Querbalken zur Aufnahme der heiligen
Lanze und im unteren Teile des senkrech
ten Stammes zur Aufnahme des Stückes
vom Kreuze Christi derart ausgehöhlt ist,
daß beide Gegenstände genau hineinpassen
(.Abb. ii). Namentlich die Gestalt der Ver
tiefung für die heilige Lanze ist derart,
daß man daraus ersieht, die Lanze müsse
bereits damals, als das Kreuz bestellt wurde,
ebenso geformt gewesen sein wie heute. Die
auf die Form der hineinzulegenden Dinge
keinerlei Rücksicht nehmenden quadrati
schen Aushöhlungen in den erbreiterten En
den oben und rechts dienten wahrschein
lich zur Aufnahme von Urkunden, die sich
auf Kreuzpartikel und Lanze bezogen. Im
Kreuz kann wohl einmal der Zahn Johannis
des Täufers, niemals aber neben Lanze und
Kreuzpartikel das Armbein der heiligen Anna
* ii ,, ... , .. , verwahrt gewesen sein. Es hätte darin ein-
fach keinen Platz gehabt 153 . Das Holz ist
innen mit einem angeklebten dünnen, mattroten Stoff überzogen, der heute noch gut erhalten ist. Vom
Querbalken ist die ganze vordere fläche abzuheben. Gehalten wird sie durch vier Kloben, die durch das
Holz des Körpers und das Blech der Rückseite hindurchgreifen und an dieser mit vier durch die Löcher
der Kloben zu steckenden silbernen Splinten zu befestigen sind. Ähnlich ist der Deckel des oberen Qua
drates festgemacht. Dagegen ist der Deckel über der Vertiefung, in die die Kreuzpartikel hineingelegt werden
kann, links durch ein Scharnier mit dem Seitenblech des unteren Teiles des Kreuzstammes verbunden und
wird hinten abermals mit einem silbernen Splinte, der durch die Öffnung des federnden Klobens gesteckt
werden muß, befestigt. Dieser Splint war in Murrs Zeiten durch einen Stift vertreten, der an einem gol
denen Kettlein hing 154 . Dieses wieder war an der hinten auf dem Quadrat der Vierung neben dem S des
Wortes AGNVS sichtbaren Öse angemacht. Das war aber gewiß nicht die ursprüngliche Art des Verschlusses,
sondern der Deckel über der Kreuzpartikel war seinerzeit mit zwei Kloben und den dazugehörigen Splinten
ganz genau ebenso befestigt, wie die beiden anderen Deckel auch, was durch das Loch, das hinten rechts
vom heiligen Simon zu sehen ist, bewiesen wird. Die Umgestaltung des abhebbaren Deckels in ein Türchen
wurde zweifellos später einmal vorgenommen.
Das Kreuz ist ein sogenanntes Krückenkreuz oder Tatzenkreuz (croix potencée). Es ist vorne reich
mit Edelsteinen, Perlen und Filigran geschmückt. Längs seinen Seitenflächen läuft eine nicllierte Inschrift,
die Rückseite zeigt, gleichfalls in Niello, in der Vierung das Lamm Gottes, in den Endquadraten die vier
Evangelistensymbole und dazwischen, sitzend, elf Apostel.
153 Vgl. dagegen Hofmeister, 1. c., S. 45 und Anmerkung 2.
154 Beschreibung der sämtlichen Reichskleinodien. Nürnberg 1790, S. 77.