Die weltliche Schatzkammer in Wien.
auf der Severinsplatte ist viel sorgfältiger ausgeführt als die auf den Emailtafeln der Krone. Dies zeigt sich
nicht nur in der Behandlung des Gesichtes, der Hände, der Haare und der Gewandfalten, sondern haupt
sächlich in der Zeichnung der Augen, an denen beim heiligen Severin das Weiße und der Stern deutlich
unterschieden sind, während auf der Krone das Auge selbst immer nur durch ein Ringlein wiedergegeben
wird, Brauen und Nase aber mit einem einzigen Zug geformt sind, wobei die Brauen bei den Engeln,
bei Christus und beim König David mit einfachen Strichen, beim König Salomo, beim Propheten Isaias und
beim König Ezechias dagegen mit je zwei parallelen Strichen (bei näherem Zusehen mit nur einem, aber
magneteisenförmig zurückgebogenen) gezeichnet sind. Der erstere Typus entspricht ungefähr der letzten der
von Humann, 1. c., auf S. 122 unter Fig. 28 b zusammengestellten schematischen Zeichnungen. Doch sind die
Zellenschmelze der ersten drei Essener Kreuze stilistisch viel gröber, plumper, unbeholfener als die der Krone.
Man betrachte auf das hin vor allem die Gewandfalten, aber auch die Hände, selbst bei dem in der künst
lerischen Behandlung des Emails am weitesten vorgeschrittenen dritten Essener Kreuze.
Hätte man es mit der Entwicklung einer Werkstatt oder doch einer und derselben Gegend zu tun,
so müßten auf Grund des obigen Vergleiches die Zellenschmelztafeln der Krone zwischen die ersten drei
Essener Kreuze und die Kölner Severinsplatte, näher den ersteren, also ungefähr in das erste Viertel des
11. Jahrhunderts datiert werden, — ein zeitlicher Ansatz, der aber natürlich sofort hinfällig würde, wenn
die Krone etwa in einem anderen Lande entstanden sein sollte.
Die Form der Schriften auf der Krone.
Auf der Krone findet sich viererlei Schrift: die niellierte Schrift auf der Rückseite des angesteckten
Kreuzes, die ungefüge Perlenschrift zu beiden Seiten des angesteckten Bügels, die in die vier mit den figür
lichen Darstellungen gegrabene und mit rotem Schmelz ausgefüllte Blockschrift über den Figuren und die
zierliche Golddrahtschrift im Email der Spruchbänder.
Vom angesteckten Kreuz sei vorerst wieder nicht die Rede.
Die beiden Schriften auf den geschmelzten Goldplatten sind nur scheinbar verschieden. Die rote, die
auf dem schimmernden Goldgrund weithin zu wirken hatte, ist zwar auffallend dick, aber ihre Buchstaben
formen stimmen mit denen der Bandrollen vollkommen überein. Der Körper dieser Schrift besteht aus der ein
fachen oder zwei- bis dreifachen Dicke zarter Goldbändchen, die wahrscheinlich mit einem aus gekochten Kernen
von Quittenäpfeln gewonnenen Leim auf die vertiefte Goldfläche hochkant angeklebt wurden. Von der Hitze des
Schmelzofens wird dieser Klebstoff vollständig verzehrt, und überschliffen erscheinen dann die Goldbändchen,
um die herum das Glaspulver aufgeschüttet wurde, als goldene Linien zwischen dem farbigen Email. Mit
feinen Zängelchen kann der linde Draht leicht beliebig gebogen werden, und so verleitete wohl gerade
hier die Eigentümlichkeit von Material und Technik dazu, die Querstriche der Buchstaben besonders auf
fallend zu gestalten, was die Schrift vielleicht etwas jünger erscheinen läßt, als sie tatsächlich ist.
Minuskelschrift des u.oder 12. Jahrhunderts läßt sich leicht bis auf fünfzig Jahre und genauer datieren.
Mit Majuskeln verhält es sich viel schwieriger, da diese, für Monumentalschrift aller Art Vorbehalten, naturgemäß
weit weniger der Veränderung unterworfen sind. Auch gibt es leider noch keine Paläographie der Majuskel.
Ein Werk wie »Die christlichen Inschriften der Rheinlande« von F. X. Kraus, so beschränkt es auch der Zeit
und dem Orte nach ist, leistet dennoch die willkommensten Dienste. Es wird daher auch hier zu Rate gezogen.
Die den Buchstaben auf den Schmelzplatten der Krone verwandteste Schrift, die sich bei Kraus finden
ließ, ist die auf zwei Bleiplatten für die Trierer Erzbischöfe Egilbert (1079—1101) und Bruno (1102—1124) 66 .
Diese Inschriften sind zwar bei Kraus nicht im Facsimile wiedergegeben, sondern nur in typischen Lettern,
aber auch das genügt. Plier wie dort schneiden sich die schrägen Schäfte des A nicht, und sind oben und
unten die Querstriche deutlich zu erkennen (A). Hier wie dort wechseln OT und M. Namentlich die erstere
Form des M ist charakteristisch. Auch der Wechsel des unzialen hl mit dem Antiqua-H ist hier wie dort
zu beobachten. Bezeichnend ist auch beide Male die Ligatur OL = OR. Endlich ist den Inschriften auf der
Krone und auf den Trierer Bleiplatten diese Form des (9 gemeinsam. Der Wechsel von ö und D auf der
Krone ist dagegen den Bleiplatten unbekannt und ebenso der von U und V. Auf der Krone fehlt wieder
das unziale ü (= T), das die Inschriften der Trierer Bleiplatten zeigen. Ligaturen kommen auf den Schmelz-
66 F. X. Kraus, Die christlichen Inschriften der Rheinlande. II. Teil. (Von der Mitte des 8. bis zur Mitte des 13. Jahr"
hunderts.) Freiburg i. B. und Leipzig 1894, S. 167, Nr. 343 und 344.
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