Die weltliche Schatzkammer in Wien.
Die figürlichen Darstellungen auf der Krone.
Vom Crucifixus auf dem angesteckten Kreuz wird später die Rede sein.
Von den vier in Zellenschmelz ausgeführten Darstellungen ist die des thronenden Christus zwischen
zwei Cherubim (Taf. III) recht selten. Die sechsflügeligen Cherubim, auf deren Schwingen Augen eingezeichnet
sind, unter deren Füßen Räder schweben und die sich nahe dem Throne Gottes befinden, gehen, wie schon
Bock bemerkt hat, auf Ezechiel (Kap. X) zurück. Eine ähnliche Darstellung: In der Mitte der thronende
Heiland, mit der Rechten segnend und in der Linken ein Buch haltend, zu beiden Seiten ein sechsflügeliger
Cherub und ein ebensolcher Seraph, von denen ein jeder ein Hügelpaar gehoben und die anderen beiden
Paare gesenkt hat, aber auf einem Rade steht und in die Flügel Augen eingezeichnet hat, findet sich im
1071 bestellten sogenannten Gundekarianum zu Eichstätt 57 . Ähnliche Darstellungen kommen aber auch schon
früher vor: in der vatikanischen Handschrift der Topographie des Cosmas Indicopleustes (7. Jahrh.) 58 , auf
der oberen Platte des elfenbeinernen Einbandes des Tuotilo-Evangeliars in St. Gallen (Anfang des 9- Jahrh.) 59 ,
im Metzer Drogo-Sakramentar in der Bibliothèque Nationale zu Paris (9. Jahrh.) 60 .
Besonders gelungen sind auf der Krone die beiden Könige David (Taf. V) und Salomo {Taf. IV).
Sie verhalten sich in der Zeichnung fast wie Bild und Spiegelbild zueinander und sind außerdem haupt
sächlich durch die Farben des Emails verschieden. Bei David sind die die schweren Spruchbänder haltenden
Hände auffallend wohlgeraten; es ist hier, namentlich an der Linken, die Verkürzung der oberen Finger
glieder nahezu einwandfrei wiedergegeben. Am besten aber wirken bei Vater und Sohn die Beine. Es sind
nicht nur die Umrisse sicher und glücklich gezogen, sondern es ist auch dank der Innenzeichnung der Knie,
die hier wie auch sonst mit Hilfe von hochkant aufgesetztem Golddraht zustande kam, und dank den lichtig
geführten Linien der Verkürzung der sich den Füßen anschmiegenden Schuhe vortrefflich modelliert, so daß
die beiden Gestalten trotz ihrem Schweben im unbestimmten Goldraum mit festen, stracken Beinen gar sicher
auf der Erde zu stehen scheinen. Nicht nur in der Tracht (Mantel, Untergewand und Schuhe), sondern vielleicht
noch mehr in der Festigkeit der »Gestelle« erinnern an die Könige der Krone Abner und Joab und deren
beide Begleiter auf der oberen Hälfte eines Elfenbeinreliefs aus dem 9- Jahrh. im Louvie . Dagegen ist ein
ähnlich schwebender König, der sich gleichfalls mit einem schweren, freilich anders gehaltenen Spruchband
abmüht, auf dem von Eilbertus um 1130 in Köln geschaffenen Tragaltar des Weifenschatzes viel unsicherer
im Knochenbau und Auftreten und im ganzen viel schematischer 62 . Ganz so wie von unseren beiden Königen
wird das Spruchband von dem Herrscher auf der bereits genannten lavierten Federzeichnung in den Leges
Alemannorum (12. Jahrh.) gehalten 63 .
Die ungewöhnlichste Darstellung aber findet sich auf der letzten der vier Zellenschmelztafeln (Taf. I /).
Mit feinem Gefühl für die Bedingungen des überhöhten Raumes, der ihm zur Verfügung stand, hat der
Künstler den kranken König nicht im Bett liegend, wobei die Wagrechte hätte vorwalten müssen, sondern
auf dem Throne sitzend dargestellt. Die Krankheit ist dadurch veranschaulicht, daß Ezechias das geneigte
Haupt mit der rechten Hand stützt und die Linke ans Herz preßt. Damit das Gleichgewicht nicht gestört
werde, mußte der Prophet größer gestaltet und leicht nach innen gedreht und mußte das Spruchband von
der Linken höher und von der durch den Mantel verhüllten Rechten tiefer gehalten werden. Auf diese Weise
kam eine nicht nur wohlabgewogene, sondern auch trotz aller urwüchsigen Linkischheit höchst ausdrucksvolle,
lebendige Komposition zustande, der die hier beträchtlich schwächer als auf den 1 latten mit David und
Salomo ausgefallene Zeichnung der königlichen Beine kaum wesentlich Eintrag tut.
Vergleicht man in stilistischer Hinsicht die Darstellungen der Krone beispielsweise einerseits mit den
ersten drei Essener Kreuzen (ca. 973—98 2) 64 und andererseits mit der Kölner Severinsplatte, die von
dem nicht mehr erhaltenen Heiligenschrein stammt, der unter Erzbischof Hermann III. (1089—1099) angefertigt
worden sein soll 65 , so läßt sich ungefähr folgendes feststellen: Die Innenzeichnung des thronenden Heiligen
57 E. F. Bange, Eine bayerische Malerschule des 11. und 12. Jahrhunderts. München 1923, Taf. 34/35, Nr. 91, TextS. ioo f.
ss Andre Michel, Histoire de l’Art depuis les premiers temps Chrétiens jusqu’â nos jours. Tome I: Des Débuts de
l'Art Chrétien â la fin de la période Romane. I™ partie. Paris 1905, p. 214, hg. 118.
59 Michel, 1. c., I/2, p. 826, fig. 441. — 60 Michel, 1. c., I/i, Taf. nach S. 364. — 01 Michel, 1. c., I/2, p. 825, hg. 440.
62 Falke-Frauberger, 1. c., Taf. 18 oben, 3- Fig. von links. — 63 Hermann, 1. c., Fig. 43-
64 Georg Humann, Die Kunstwerke der Münsterkirche zu Essen. Düsseldorf 1904, S. n5ff, lat. 12—14, iS und i9.
65 Falke-Frauberger, 1. c., Taf. 2 rechts.
4 Jahrbuch N. F. I.
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