Die weltliche Schatzkammer in Wien.
und Aachen verdankt, dennoch manches höchst wichtige Kunstwerk, das mit den Gegenständen der Schatz
kammer aufs engste zusammenhängt, nicht im Urbild kennt, was gerade bei Goldschmiedearbeiten, bei denen es
mehr als anderswo auf die genaue Kenntnis der Einzelheiten ankommt, besonders schwer ins Gewicht fällt.
Im Verlauf der Arbeit ist es ihm auch immer deutlicher geworden, daß die auffallende Unsicherheit, die
z. B. über so allbekannte und hochverehrte Kunstwerke wie etwa die deutsche Kaiserkrone und das Reichs
kreuz noch immer herrscht, nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß sie bisher ungenügend veröffentlicht
waren. Diesem Übelstand suchen namentlich die hier beigefügten guten Wiedergaben von Einzelheiten in
vergrößertem Maßstab abzuhelfen. Vollständigkeit ist natürlich nicht angestrebt und es wird nur immer
dort etwas vorgebracht, wo nach der Meinung des Verfassers etwas zu sagen war. Endigt im folgenden
manchmal die eine langwierige Untersuchung mit einem entsagungsvollen »non liquet« und versieht viel
leicht die andere sogar ein Problem, das längst gelöst zu sein schien, neuerdings mit einem nachdrücklichen
Fragezeichen, können als Ergebnisse oft nur kleine Ergänzungen und Berichtigungen gebucht werden, so
wird sich dafür doch auch wieder — dies hofft der Schreiber dieser Zeilen zuversichtlich — eine und
die andere der vielen und verwickelten Fragen, die sich an die Reichskleinodien knüpfen, ihrer Lösung
nähergebracht finden.
Wenn gerade jetzt wieder und nicht nur von Wien aus der Erforschung der Reichskleinodien, die ja über
ihren hohen Kunst- und Alterswert hinaus noch als Symbole längst entschwundener deutscher Macht und Herr
lichkeit einem jeden Deutschen verehrungswürdig sind, eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet wird, so sei
daran erinnert, daß auch Christoph Gottlieb v. Murr und Franz Bock ihre aufschlußreichen Untersuchungen
an Schicksalswenden der Geschichte des deutschen Volkes vorgenommen haben: jener, als bereits die Fran
zösische Revolution ausgebrochen war, unter deren Ansturm bald darauf der altersmorsche Bau des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation zusammenkrachen sollte, — dieser, als sich die Deutschen des Westens
und die des Ostens zum Entscheidungskampf um die Vorherrschaft anschickten.
Geistliche und weltliche Schatzkammer.
Spricht man von der Wiener Schatzkammer schlechthin, so meint man für gewöhnlich die weltliche und
übergeht dabei — sehr mit Unrecht — die geistliche Schatzkammer. Die Scheidung der Schatzkammer des
kaiserlichen Hofes in eine weltliche und eine geistliche geht nicht erst auf Kaiser Josef zurück, sondern ist
sehr alt. Schon auf den 1507—1512 in der Werkstatt Hans Kölderers zu Innsbruck entstandenen großen
Miniaturen auf Pergament in der Albertina, die als Vorlage für den von Dürer, Burgkmair und anderen
Künstlern auf Holz gezeichneten Triumphzug Kaiser Maximilians I. dienten 1 , sind der »Geprauchschatz«
(Min. 79) und der »Andachtschatz« (Min. 78) 2 streng voneinander getrennt. Ein Gleiches ist auf dem hier
(Abb. 9) abgebildeten Holzschnitt Albrecht Altdorfers vom rechten Turm der von 151 5 datierten Ehrenpforte
der Fall. Dieser auf seinen Gegenstand hin bisher noch nicht gewürdigte Holzschnitt läßt uns einen Blick
in das kaiserliche Schatzgewölbe, vielleicht das zu Innsbruck, tun. Sicherlich gibt uns der Schnitt keine
naturgetreue Aufnahme, kürzt und vereinfacht er, im allgemeinen vermittelt er uns aber doch zweifellos ein
richtiges Bild. Auf dem Tische links ist in F'orm von kostbarem 'lafelgerät, von Bechern, Krügen, Tellern
und Bestecken, der weltliche Schatz aufgestapelt, zu dem gewiß auch die beiden 1 ruhen auf dem Boden
gehören. Die vordere ist dicht mit Goldstücken gefüllt, was bei Maximilian, der sich bekanntlich stets in
Geldnöten befand, vielleicht als keineswegs unbeabsichtigte ebensolche Übertreibung angesehen werden darf,
wie der den Mund voll nehmende Text unter dem Bilde. Der Tisch in der Mitte enthält den »Andacht
schatz«, ein Kruzifix, Leuchter, ein gewiß mit herrlichen Miniaturen ausgestattetes Gebetbuch und vor allem
Reliquiare in verschiedenen Gestalten. Am Baldachin, der den Tisch rechts überschattet, und auf diesem
selbst sind endlich die Hoheitszeichen und der persönliche Schmuck untergebracht. Die Kaiserkrone mit
den breiten, langen Pcndilien, wohlbekannt von vielen bildlichen Darstellungen Maximilians her, die Krone
der Kaiserin, ein Erzherzogshut, Ringe, Goldketten und Perlenschnüre, vor allem aber die große Kette des
goldenen Vlieses, fallen besonders auf.
1 Vgl. über die Miniaturen zuletzt insbesondere Ludwig Baldaß: Albrecht Altdorfer. Wien 1923. Bd. II der vom Kunst
historischen Institut des Bundesdenkmalamtes herausgegebenen kunstgeschichtlichen Einzelschilderungen.
2 Franz Schestag, Kaiser Maximilians I. Triumph. Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des a. h. Kaiserhauses.
Wien, I. (1883), S. 168.
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