Full text: Band 1 (N.F.) (I=37)

Die weltliche Schatzkammer in Wien. 
barer christlicher Engel einschleicht, so ist das sicherlich eine Huldigung für den christlichen Herrn, das 
ist der römisch-katholische Normanne, König Roger II. Nicht anders ist wohl das Blond der Haare von 
22 Figuren (unter 24!) zu verstehen. Die augenscheinliche Vorliebe für das Drachenmotiv, das zweifellos 
vorher und nachher in der Kunst des Orients eine große Rolle spielt, mag trotzdem gleichfalls mit nor 
mannischer Eigenart Zusammenhängen. Man weiß, daß es für einen richtigen Drucksatz sehr notwendig ist, 
daß der Setzer von der Sprache, in der er setzt, eine Ahnung hat. Der Sticker, der in Palermo die lange 
kufische Inschrift auf den Saum des Mantels für König Roger II. stickte, war gewiß ein Sarazene, und zwar 
einer, dem die Schriftzeichen nichts völlig Fremdes waren. Dagegen muß der, der die lateinische Inschrift 
in die Alba für König Wilhelm II. stickte, wieder ein Mann gewesen sein, dem die lateinische Sprache 
nicht ganz unvertraut war. Diese Inschrift selbst ist ohne Zweifel von einem gelehrten Mönch verfaßt, 
vielleicht von einem Benediktiner vom Monte Cassino, der als kostbaren Kunstschatz ein reich und sorgfältig 
ausgemaltes Evangelienbuch seines Klosters bei sich hatte oder in der Cappella Palatina für den König ver 
wahrte. Es kann aber auch ein Normanne gewesen sein, der aus seiner zweiten Heimat im Frankenreich 
ein Evangeliar mit sich führte, dessen Schmuck noch von vorkarolingischem Stil Kunde gab. Ungefähr auf 
solchen Wegen mögen die Drachenmotive in die königliche Weber- und Stickerwerkstatt in Palermo Eingang 
gefunden haben. 
Noch bleibt der Zusammenhang zu erörtern, der zwischen unseren Stoffen und den ihnen nächst ver 
wandten Denkmälern, nämlich den paar Stoffen oder besser gesagt: Stoffresten besteht, mit denen das schon 
länger bekannte Stück des Sündenfallstoffes zuerst von Bock und zuletzt von Kumsch in nähere Verbindung 
gebracht wurde. 
Von den von Kumsch auf Grund ihrer gemeinsamen Technik zusammengestellten Stoffen (den von 
ihm neu publizierten Dresdener Stoff miteingerechnet) kommt das Grabtuch des Bischofs Günther aus 
dem Bamberger Domschatz (Kumsch a) als eine byzantinische Arbeit nicht weiter in Betracht 349 , und das 
1864 zuerst von Bock veröffentlichte Stück des Sündenfallstoffes (Kumsch c) bleibt darum weg, weil 
es hier in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt ist, während es dort an deren Rand stand. Der wichtigste 
der übrig bleibenden sechs Stoffe ist der im Grabe König Rogers I. in Palermo gefundene Drachenstoff, 
der mir ebenfalls wie Kumsch leider nur durch den Kupferstich bei Daniele 350 bekannt ist (Kumsch b). 
Dieser Stoff ist fast ebenso wie der Kaisermantel genau zu datieren und zu lokalisieren. Er ist um 1100 
zweifellos gleichfalls in der königlichen Textilfabrik zu Palermo entstanden. Er hat mit dem Drachen- und 
mit dem Vogelstoff im Krönungsmantel das Motiv der in Drachenköpfe endigenden verschlungenen Band 
streifen, mit dem Sündenfallstoff die dickstieligen Früchte mit dem Kreis in der Mitte, mit dem Sündenfall- 
und dem Drachenstoff die Tierchen, von denen Ranken abzweigen, die freischwebenden raumfüllenden Ranken 
und mit dem Sündenfallstoff die im Saum einander gegenüberstehenden Vögel gemeinsam. Der Brüsseler 
Stoff (Kumsch e) weist die Bandverschlingungen auf und außerdem noch Vögelchen, die zwar mit den 
Leibern einander zugekehrt, mit den Köpfen aber voneinander abgewandt sind, wie dies bei den Vögeln 
hinter den menschlichen Gestalten auf dem Sündenfallstoff der Fall ist. Das von Kumsch unter dem Buch 
staben d beschriebene Gewebe, das aus der Sammlung Bocks stammt und von dem sich Bruchstücke in 
Berlin, Wien, London und wahrscheinlich auch in Paris und Lyon finden, zeigt außer den verschlungenen 
Bandstreifen und dem Baum, und zwar in der vereinfachten Form, wie er auf unserem Vogelstoff vorkommt, 
auch noch das Dreiblatt unseres Drachenstoffes. Das Wiener Stück, das unter Inv.-Nr. 741 in der Textil 
sammlung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie auf bewahrt wird, mißt ca. 12: 17'5 cm. 
Kumschs Buchstabe f, ein Stoff, der in Berlin, Wien, London, Paris und Lyon vorkommt und ebenfalls auf 
die Sammlung Bocks zurückgeht, entbehrt jeglichen figuralen Schmuckes, weder Menschen noch Tiere finden 
sich auf ihm. Natürlich teilen auch hier verschlungene Bandstreifen die Bildfläche ein. Die wichtige Palmetten 
lilie (von Kumsch »lilienartiger Rankenaufbau« genannt) kommt etwas einfacher und in Gold gestickt in 
jenen goldumränderten Vierpässen vor, die am äußeren Durchmessersaum des Kaisermantels mit den eben 
falls perlumränderten Quadraten abwechseln, in die die Schmelzplättchen eingepaßt sind. Noch ein anderes 
Füllzierat dieses Stoffes ist bemerkenswert. Es findet sich nämlich in dem »kronenartigen Gebilde aus vier 
349 Vgl. seit Kumsch Bassermann-Jordan und Schmid, 1. c., S. 28, Nr. 48 und Taf. X. 
350 (Francesco Daniele,) I regali sepolcri del duomo di Palermo riconosciuti e illustrati. Neapel 1784, Taf. C. Die Auto 
typie bei Kumsch (Abb. 7 auf S. 315) gibt nicht den ganzen Kupferstich wieder.
	        
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