Die weltliche Schatzkammer in Wien.
barer christlicher Engel einschleicht, so ist das sicherlich eine Huldigung für den christlichen Herrn, das
ist der römisch-katholische Normanne, König Roger II. Nicht anders ist wohl das Blond der Haare von
22 Figuren (unter 24!) zu verstehen. Die augenscheinliche Vorliebe für das Drachenmotiv, das zweifellos
vorher und nachher in der Kunst des Orients eine große Rolle spielt, mag trotzdem gleichfalls mit nor
mannischer Eigenart Zusammenhängen. Man weiß, daß es für einen richtigen Drucksatz sehr notwendig ist,
daß der Setzer von der Sprache, in der er setzt, eine Ahnung hat. Der Sticker, der in Palermo die lange
kufische Inschrift auf den Saum des Mantels für König Roger II. stickte, war gewiß ein Sarazene, und zwar
einer, dem die Schriftzeichen nichts völlig Fremdes waren. Dagegen muß der, der die lateinische Inschrift
in die Alba für König Wilhelm II. stickte, wieder ein Mann gewesen sein, dem die lateinische Sprache
nicht ganz unvertraut war. Diese Inschrift selbst ist ohne Zweifel von einem gelehrten Mönch verfaßt,
vielleicht von einem Benediktiner vom Monte Cassino, der als kostbaren Kunstschatz ein reich und sorgfältig
ausgemaltes Evangelienbuch seines Klosters bei sich hatte oder in der Cappella Palatina für den König ver
wahrte. Es kann aber auch ein Normanne gewesen sein, der aus seiner zweiten Heimat im Frankenreich
ein Evangeliar mit sich führte, dessen Schmuck noch von vorkarolingischem Stil Kunde gab. Ungefähr auf
solchen Wegen mögen die Drachenmotive in die königliche Weber- und Stickerwerkstatt in Palermo Eingang
gefunden haben.
Noch bleibt der Zusammenhang zu erörtern, der zwischen unseren Stoffen und den ihnen nächst ver
wandten Denkmälern, nämlich den paar Stoffen oder besser gesagt: Stoffresten besteht, mit denen das schon
länger bekannte Stück des Sündenfallstoffes zuerst von Bock und zuletzt von Kumsch in nähere Verbindung
gebracht wurde.
Von den von Kumsch auf Grund ihrer gemeinsamen Technik zusammengestellten Stoffen (den von
ihm neu publizierten Dresdener Stoff miteingerechnet) kommt das Grabtuch des Bischofs Günther aus
dem Bamberger Domschatz (Kumsch a) als eine byzantinische Arbeit nicht weiter in Betracht 349 , und das
1864 zuerst von Bock veröffentlichte Stück des Sündenfallstoffes (Kumsch c) bleibt darum weg, weil
es hier in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt ist, während es dort an deren Rand stand. Der wichtigste
der übrig bleibenden sechs Stoffe ist der im Grabe König Rogers I. in Palermo gefundene Drachenstoff,
der mir ebenfalls wie Kumsch leider nur durch den Kupferstich bei Daniele 350 bekannt ist (Kumsch b).
Dieser Stoff ist fast ebenso wie der Kaisermantel genau zu datieren und zu lokalisieren. Er ist um 1100
zweifellos gleichfalls in der königlichen Textilfabrik zu Palermo entstanden. Er hat mit dem Drachen- und
mit dem Vogelstoff im Krönungsmantel das Motiv der in Drachenköpfe endigenden verschlungenen Band
streifen, mit dem Sündenfallstoff die dickstieligen Früchte mit dem Kreis in der Mitte, mit dem Sündenfall-
und dem Drachenstoff die Tierchen, von denen Ranken abzweigen, die freischwebenden raumfüllenden Ranken
und mit dem Sündenfallstoff die im Saum einander gegenüberstehenden Vögel gemeinsam. Der Brüsseler
Stoff (Kumsch e) weist die Bandverschlingungen auf und außerdem noch Vögelchen, die zwar mit den
Leibern einander zugekehrt, mit den Köpfen aber voneinander abgewandt sind, wie dies bei den Vögeln
hinter den menschlichen Gestalten auf dem Sündenfallstoff der Fall ist. Das von Kumsch unter dem Buch
staben d beschriebene Gewebe, das aus der Sammlung Bocks stammt und von dem sich Bruchstücke in
Berlin, Wien, London und wahrscheinlich auch in Paris und Lyon finden, zeigt außer den verschlungenen
Bandstreifen und dem Baum, und zwar in der vereinfachten Form, wie er auf unserem Vogelstoff vorkommt,
auch noch das Dreiblatt unseres Drachenstoffes. Das Wiener Stück, das unter Inv.-Nr. 741 in der Textil
sammlung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie auf bewahrt wird, mißt ca. 12: 17'5 cm.
Kumschs Buchstabe f, ein Stoff, der in Berlin, Wien, London, Paris und Lyon vorkommt und ebenfalls auf
die Sammlung Bocks zurückgeht, entbehrt jeglichen figuralen Schmuckes, weder Menschen noch Tiere finden
sich auf ihm. Natürlich teilen auch hier verschlungene Bandstreifen die Bildfläche ein. Die wichtige Palmetten
lilie (von Kumsch »lilienartiger Rankenaufbau« genannt) kommt etwas einfacher und in Gold gestickt in
jenen goldumränderten Vierpässen vor, die am äußeren Durchmessersaum des Kaisermantels mit den eben
falls perlumränderten Quadraten abwechseln, in die die Schmelzplättchen eingepaßt sind. Noch ein anderes
Füllzierat dieses Stoffes ist bemerkenswert. Es findet sich nämlich in dem »kronenartigen Gebilde aus vier
349 Vgl. seit Kumsch Bassermann-Jordan und Schmid, 1. c., S. 28, Nr. 48 und Taf. X.
350 (Francesco Daniele,) I regali sepolcri del duomo di Palermo riconosciuti e illustrati. Neapel 1784, Taf. C. Die Auto
typie bei Kumsch (Abb. 7 auf S. 315) gibt nicht den ganzen Kupferstich wieder.