Die weltliche Schatzkammer in Wien.
links, erscheint die Beutelratte und einmal, im dritten Feld rechts, der Käfer. Oben und unten findet sich,
aber nur zum 1 eil sichtbar, sowohl bei Ia als auch bei 1b ein Streif, in dem sich zwei, einer mit drei
aufrechten Spitzen versehenen Zierform, der von Kumsch schriftähnlicher Charakter beigemessen wird,
zugekehrte Vögel immer wiederholen. Zur Raumfüllung sind außer einfach und doppelt gezeichneten
Ranken, die meist frei schweben, in den Hauptfeldern auch noch buchstabenähnliche Zeichen angebracht,
von dieser Form: -O- (im ersten Feld von Ia), rt (im ersten und zweiten Feld von Ib), -0- (im ersten
und dritten Feld von Ib) und -fcF (im dritten Feld von Ib).
Ob Bocks Deutung der Szene in den von ihm veröffentlichten beiden Hauptfeldern von Ib zutrifft,
muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls spricht manches dagegen. Zuerst, daß die Schlangenköpfchen nicht
einmal, sondern drei- bis viermal dem Baum entwachsen, daß sie dies auch bei der Szene tun, die, wie
wir gesehen haben, bestimmt nicht den Sündenfall, sondern eher die Verkündigung darstellt, daß ein
solches Drachenköpfchen auch von einem unschuldigen Karnickel abzweigt, daß zweimal die den Apfel
darreichende Gestalt (auf dem dritten Feld von Ia und Ib) kurzes Haar hat, daß die beiden Stammeltern
stets in Kleider gehüllt sind, die oben bis an den Hals und unten bis an die Knöchel reichen. Trotzdem
ist es angesichts der hier vorliegenden besonderen Umstände, die erst zu erörtern sind, nicht ausgeschlossen,
daß die Wirker an den Sündenfall gedacht haben, und daher ist auch hier der Stoff der Sündcnfallstoft
genannt worden.
Der Drachenstoff.
Wenn sich auch der Sündenfallstoff dadurch, daß er an jener Stelle des Mantels sitzt, die am ehesten
zu sehen war, dadurch, daß für ihn die meisten Farben gebraucht wurden, und endlich auch dadurch, daß
auf ihm ein so deutlich gekennzeichnetes überirdisches Wesen dargestcllt ist wie der Engel, von selbst als
der kostbarste der drei Stoffe gibt, von dem auch dem Umfang nach am meisten verwendet wurde, so ist
doch, dünkt es wenigstens uns, der Drachenstoff (Ila und IIb, Taf. XIII) der interessanteste, und zwar nicht
bloß darum, weil er noch unpubliziert und völlig unbekannt ist.
Die Gliederung der Fläche durch Bandstreifen läßt sich vielleicht folgendermaßen verständlich
machen: Über eine Reihe von dicht aneinandergerückten V ist eine zweite ebensolche derart gelegt, daß
sich die Schäfte der V ungefähr in der Mitte schneiden. Oben ruht auf jedem zweiten Paar von einander
berührenden Schaffenden mit der Rundung nach unten ein Halbkreis auf. Unten stoßen die Spitzen der V
an eine wagrechte Linie. An diesen Stellen und oben, wo die Halbkreise aufruhen, verschlingen sich die
Bandstreifen. Die Enden der Halbkreise oben gehen in züngelnde und mit Ohren versehene Drachenköpfe
aus, die einem stilisierten spitzovalcn Blatt zugekehrt sind. Auch die Schaffenden der V, die keine Halb
kreise tragen, gehen in ebensolche Drachenköpfe aus, die aber voneinander abgewendet sind und aus
Schalen, die vor ihnen stehen, trinken. Obwohl nun diese Drachenköpfe keine Besonderheit des Stoffes II
ausmachen, sondern auch auf dem ersten und dritten Stoff Vorkommen, so scheinen sie mir gerade bei
diesem Stoff so wichtig und für den allgemeinen Eindruck des Musters so bezeichnend zu sein, daß ich
ihm ihretwegen den Namen des Drachenstoffes gegeben habe.
In den auf der Spitze stehenden Rhomben in der Mitte befinden sich Bäumchen mit drei aufrechten
spitzovalen Blättern ungefähr von der Art, wie je ein einziges größeres, bereits oben als in der Mitte der
Halbkreise befindlich verzeichnet wurde. Sie ruhen unten, soweit dies sichtbar ist (im dritten Rhombus von
II b läßt eine niedergenähte Falte nicht das ganze Bäumchen sehen) auf einer dreieckigen Zierform auf,
die der im zweiten Quadrat von Ia und in allen Quadraten von Ib sehr ähnlich ist. Im ersten Rhombus
von Ila zweigt, wenn man so sagen darf, von der Wurzel rechts und links je ein Ästchen mit zwei
Früchten ab, die völlig denen auf den Bäumen des Sündenfallstoffes entsprechen.
Besonders merkwürdig sind aber die durchwegs verschiedenen Figürchen, die die Dreiecke unten
füllen. Nimmt man das große spitzovale Blatt in einem Halbkreis oben als die Mitte eines Musterrapportes,
so stehen in den entsprechenden zwei Dreiecken unten immer zwei Figürchen einander zugekehrt. Das
erste Figürchen auf Ila hält in der Linken einen reichverzierten Stab, wohl ein Szepter, wozu auch das
Diadem auf dem Kopfe passen würde. Der kleine Bogen, der unten von der Handwurzel der überlangen
Rechten abzweigt, ist unverständlich. Wahrscheinlich ist damit der Stengel einer nicht zu Ivnde geführten
Ranke gemeint. Das Figürchen, das dem eben beschriebenen gegenübersteht, ist durch die Kanne mit dem
tiefsitzenden Schnabel, die es in der linken Hand hält, und durch den lang vom Ärmelende dieser Hand
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