XIII
Die weltliche Schatzkammer in Wien.
drei Gestalten links sind durch lange Tuchstreifen, die im ersten und dritten Quadrat von den Schultern,
im zweiten von den Ärmelenden an den Handgelenken herabhängen oder besser: schräg abwärts wegstehen,
ausgezeichnet. An der Gestalt rechts im dritten Quadrat fällt ein zu beiden Seiten doppelt herabhängender
Überwurf auf, auch hat sie allein kurzes dunkles Haar. In allen Quadraten sind außerhalb der beiden
Figuren Vögelchen angebracht. Einmal hält eines eine, sagen wir: Kirsche im Schnabel, bei fünfen von
den sechsen sprießen aus Kopf oder Rumpf Ranken hervor. Im mittleren Quadrat ist auch rechts von der
linken Figur, also zwischen ihr und dem Baumstamm, ein Vogel eingefügt. Hier findet sich auch rechts
vom Wipfel ein Vogel. Von den Bäumchen in den abgetreppten gleichseitigen Dreiecken unten, die auf
der Grundlinie aufstehen, trägt offenbar jedes (das erste ist fast ganz zerstört, das vierte ist nur halb
sichtbar) zwei Drachenköpfchen. Unten steht rechts beim ersten, zweiten und dritten ein Vogel, links beim
zweiten auch ein Vogel, beim dritten und vierten aber zeigt sich eine Art Käfer. Von den Bäumchen in
den abgetreppten Dreiecken oben, die auf der Spitze stehen, zweigt nirgends ein Schlangenköpfchen ab,
das dritte Bäumchen hat im Gegensatz zu allen anderen Bäumchen (auch denen auf Ib), die horizontale
Äste haben, Äste, die sich schräg aufwärts kehren. Rechts oben vom ersten und links oben vom vierten
Bäumchen steht ein von diesem abgewandter Vogel, rechts oben vom zweiten und rechts und links oben
vom dritten Bäumchen gibt es Tiere, die beinahe an Beutelratten denken lassen, so sehr sind ihre Vorder
beine gegenüber den Hinterbeinen verkümmert und ist ihr merkwürdig abgeknickter Schwanz stark ent
wickelt 298 . Dem dritten Bäumchen sind diese Tiere zugekehrt, vom zweiten wendet sich das betreffende
Viehlein ab.
Von dem Stück des Sündenfallstoffes, das hier als Ib (Taf. XI, unten) bezeichnet ist, wurden von
Bock die rechten zwei Drittel publiziert, die im zweiten und dritten Quadrat enthalten sind. Das erste
Quadrat ließ er weg, und doch enthält gerade dieses anscheinend die am ehesten verständliche Szene.
Hier ist nämlich die Figur links durch den Flügel, der sich deutlich von den bereits erwähnten herab
hängenden Tuchstreifen unterscheidet, und durch den Stab in der Kinken unverkennbar als Engel charak
terisiert. Die Gestalt rechts, die in auffälliger Weise gut um Haupteslänge kleiner als der Himmelsbote ist
und in der Linken eine einfache Ranke hält, ist vielleicht Maria, die Mutter des Menschensohnes, und das
Ganze eine Darstellung der Verkündigung. Im zweiten Quadrat (Taf. XII) hält die Figur links in der Linken
eine Blumenranke, die rechts 299 in der Rechten eine Kugelfrucht mit dem Punkt in der Mitte, wie ihn hier auch
die Baumfrüchte zeigen. Von den Ärmelenden der linken Figur hängen wieder die langen Tuchstreifen
herab, die an der linken Figur des dritten Quadrates von den Schultern ihren Ausgang nehmen. Beide
Figuren im dritten Quadrat haben nur je einen Arm, die erste hat den linken leer und erhoben, die
zweite hält in der erhobenen rechten Hand die Kugelfrucht mit dem Punkt in der Mitte. Die Figur rechts
stimmt sehr auffallend mit der entsprechenden in dem dritten Quadrat von Ia überein. Auch sie hat
kurzes dunkles Haar und einen senkrecht und doppelt herabhängenden Mantel. Alle Bäume der Mittelfelder
enden unten in die bereits am zweiten Baum von Ia beobachtete dreieckige Zierform. Während aber der
Stamm aller anderen Bäume doppelt verknotet ist, entsendet der im dritten Quadrat von Ib nach beiden
Seiten zwei Zweigpaare mit denselben Früchten wie in der Krone. Von jedem Wipfel der drei Bäume
von Ib zweigen drei Drachenköpfchen ab. Im zweiten und dritten Quadrat befinden sich außen neben
beiden Figuren Vögel, im dritten auch noch links oben einer, im ersten aber nur links einer, rechts ist
ein Kaninchen zu sehen, von dem ebenfalls ein Drachenköpfchen abzweigt. Von den vier Bäumen in den
abgetreppten Dreiecken unten, die auf einer Seite aufstehen, sind nur der zweite und der dritte vollständig.
Vom zweiten zweigen vier, vom dritten drei Schlangenköpfchen ab, vom ersten, soweit er zu sehen ist,
nur eines, vom vierten, ebenfalls soweit er sichtbar ist, keines. Unten neben den Bäumen sieht man Vögel,
einmal, im vierten Feld, den uns schon bekannten Käfer. Dafür ist hier ein Vogel wieder oben angebracht.
In den abgetreppten Dreiecken oben, die auf der Spitze stehen, kommen viermal Vögel vor, einmal, ganz
298 Der zoologisch gebildete Leser möge sich beruhigen: ich glaube weder, daß es im 12. Jahrhundert auf Sizilien
Kängurus gegeben habe, noch halte ich den Stoff für ein australisches Erzeugnis.
299 Diese Gestalt wird von Kumsch (1. c., S. 316) als »die zugleich als Schlange durchgebildete Figur der Eva« bezeichnet.
Aber der vom linken Ellbogen der Figur nach unten geschwungene Bogen ist gewiß nichts anderes als das Stück einer von
der Figur abzweigenden Ranke, wie es ähnlich auch bei der ersten Figur links von IIa vorkommt (s. unten). Die Ranke
zwischen der Figur und dem Baumstamm hat oben eine Knospe oder Blüte, die man zur Not für einen Schlangenkopf halten
könnte. Diese Ranke schwebt aber frei im Raum. Die Figur ist also gewiß keine »Schlangeneva«.
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