Die weltliche Schatzkammer in Wien.
zum Teil bereits besprochenen Gegenständen wurde in ungefähr einem Monat erledigt, ohne daß die Schatz
kammer auch nur einen einzigen Tag dem öffentlichen Besuche entzogen worden wäre.
Das Ergebnis übertraf namentlich beim Mantel alle hochgespannten Erwartungen. Es stellte sich
nämlich heraus, daß nicht nur in zwei Stücken der bereits zu einem Drittel von Bock veröffentlichte Stoff
vorhanden war, sondern daß der Mantel überdies noch einen, abermals aus zwei Stücken bestehenden zweiten
und in einem einzigen, aber größeren Stück sogar noch einen dritten Stoff verborgen gehalten hatte.
Die beigegebene schematische Zeichnung {Abb. 2g) veranschaulicht die Verteilung der in Rede stehen
den Futterstoffe. Ia und b ist der an beiden Enden vorkommende Sündenfallstoff, Ha und b ein Stoff, der
sich gegen die Mitte zu ebenfalls zweimal vorfindet und den ich den Drachenstoff nennen möchte, und III
ein in der Mitte nur einmal vorhandener Stoff, der als Vogelstoff bezeichnet sei.
Nimmt man die fünf Stofifstücke als einen einheitlichen Besatz, so ist dessen größte Breite circa 37 cm
und dessen kleinste beim Halse 20'5 cm. Die Gesamtlänge des Manteldurchmessers im Ausmaß von 377 cm
verteilt sich von links nach rechts folgendermaßen auf die fünf Stoffstücke: Der Sündenfallstoff Ia mißt
77 cm, der Drachenstoff Ha 50 cm, der Vogelstoff III 83 cm, der Drachenstoff IIb 50 cm und der Sünden
fallstoff IIb 77 cm.
Die Technik ist die zuletzt von E. Kumsch eingehend erörterte und als »Flechtgewebe« bezeichnete.
Die Kette ist auch hier doppelt und besteht aus kirschroter Seide. Sie läuft senkrecht zur Darstellung, die
selbst wieder ihren Scheitel dem Manteldurchmesser zugekehrt hat. Daß das Gewebe nicht breiter als circa
37 cm war, geht daraus hervor, daß sich oben und unten vielfach der Abschluß nachweisen läßt. Die Dichtigkeit
des Gewebes ist bei allen drei Stoffen sehr ungleich. Von Kettfäden kommen durchschnittlich 30 auf ein
Zentimeter, wenn aber der Schuß golden ist, beispielsweise auch nur 15. Die Schußfäden wieder können auf
derselben Strecke von dieser Mindestzahl bis zu siebzig ansteigen. Die feinsten Fäden sind die weißen, die
gröbsten außer den goldenen die schwarzen.
Der Grund ist bei allen drei Stoffen Gold. Von Farben sind beim Sündenfallstoff verwendet: Kirsch
rot, Lila, Apfelgrün, Himmelblau, Ockergelb, Weiß, das aber dank den durchschimmernden kirschroten
Kettfäden den zarten rötlichen Anflug der Apfelblüte hat, und ein zu trübem Braun verblaßtes Schwarz
für die Umrisse. Beim Drachenstoff fehlt das Himmelblau, beim Vogelstoff außer dem Himmelblau auch noch
das Ockergelb, das für die Haare der menschlichen Figuren gebraucht ist, deren der Vogelstoff ermangelt.
Allen drei Stoffen ist zwar die Gliederung der zur Verfügung stehenden Fläche mit Flilfe von ver
schlungenen Bandstreifen gemeinsam, aber nur auf dem Sündenfallstoff bilden diese Bänder abgeschlossene
Felder in Form von abgetreppten Quadraten, die auf eine Spitze gestellt sind, für die Hauptszenen, und in
Form von abgetreppten gleichseitigen Dreiecken, die oben auf der Spitze, unten auf der Grundlinie auf
ruhen, für die Nebenszenen. In den Haupt- und in den Nebenfeldern nimmt die Mitte ein Baum ein, zu
dessen beiden Seiten in jenen menschliche Gestalten und Tiere, in diesen nur Tiere angebracht sind.
Bei all diesen Stoffen wiederholt sich zwar die allgemeine Einteilung und Gruppierung des Musters,
wie dies eben an dem Beispiel des Sündenfallstoffes darzutun versucht wurde, die einzelnen Motive aber,
insbesondere die menschlichen Figuren, sind immer wieder verändert.
Der Sündenfallstoff.
Im ersten abgetreppten Quadrat von Ia, das eigentlich wie alle anderen auch ein unregelmäßiges
Zwölfeck ist (Taf. XI, oben), wächst der Baum aus einem Herzblatt empor, ebenso im dritten, im zweiten
aus einer verwandten, aber mehr dreieckigen Zierform. Im ersten entwachsen den Zweigen des Baumes
drei Drachen- oder Schlangenköpfchen mit deutlich wahrnehmbaren Ohren und vorgestreckter Zunge, im
zweiten und im dritten sprießt nur je eines hervor. Im ersten Quadrat hält die Figur links vom Baum in
den beiden wie in Rednergeberde bewegten Händen nichts, im zweiten die entsprechende Figur in der
Linken eine Ranke, vielleicht eine Blume, im dritten ist an dem betreffenden Figürchen nur die erhobene
leere linke Hand zu sehen. Im ersten Quadrat hält die Figur rechts in beiden Händen Ranken, die von
der rechten Hand gehaltene wächst aus dem Baumstamm hervor, der linke Arm ist überlang geraten (er
würde ausgestreckt bis unter die Sohlen hinabreichen) und ist ellenbogenlos halbkreisförmig gekrümmt.
Im zweiten Quadrat hält die Gestalt in beiden Händen Kugeln, vielleicht kugelrunde Früchte, also Äpfel
oder Orangen. Im dritten Quadrat ruht nur in der Rechten der rechten Gestalt eine solche Kugel. Die