Die weltliche Schatzkammer in Wien.
das Pallium fehlt. Statt des Krummstabes hält er einen Kreuzesstab in der Linken, das Buch in seiner
Rechten ist nicht offen, sondern geschlossen und er hält es nicht wie den Stab von sich weg, sondern
drückt es an die Brust.
Auch ist unser Siegel kleiner als die der Kölner und Trierer Erzbischöfe.
Sucht man nun während dieses halben Jahrhunderts, auf das uns als Entstehungszeit des Siegels in
der Stephansbursa der oben angestellte Vergleich mit Köln und Trier hingewiesen hat, nach einem Zeitpunkt,
zu dem sich der deutsche Herrscher, in dessen Begleitung sich das Reliquiar befunden haben muß, in Worms
aufhielt, so kommt man zu einem Ereignis von der größten weltgeschichtlichen Bedeutung, nämlich zu dem
zwischen den Abgesandten Papst Kalixts II. und König Heinrich am 23. September 1122 in Worms ge
schlossenen Frieden, dem Wormser Konkordat, das dem Investiturstreit ein Ende setzte. Diese Annahme
findet ihre kräftigste Stütze darin, daß das Siegel in der Bursa kein Bischofssiegel, sondern ein Kollegiatsiegel ist,
vom Domkapitel in Abwesenheit des Bischofs verwendet. Der damalige Wormser Bischof, Burkhard II. von
Ahorn, genannt Buggo (1115—1149), gegen den Willen Heinrichs V. von den Kanonikern gewählt, befand
sich damals aber tatsächlich nicht in Worms, weil ihn der König mit so unerbittlichem Haß verfolgte,
daß er ihm nicht einmal während des Friedensschlusses die Rückkehr auf seinen Bischofsstuhl gestattete 286 .
So wäre es also begreiflich, daß diese Reliquie, die vielleicht die päpstlichen Legaten, der Bischof
Lambert von Ostia und die Kardinäle Saxo und Gregor, aus Rom mitgebracht und zur Bekräftigung des
vom Papst mit dem deutschen König geschlossenen Friedens Heinrich verehrt hatten, mit dem Siegel des
Kapitels am Wormser Sankt Petersdom, der erst zwölf Jahre vorher eingeweiht worden war, verschlossen
und dann dem Reliquiar einverleibt wurde.
Die uns sonst unbekannte Reliquie verdiente dann unsere Verehrung als Erinnerungszeichen an einen
der denkwürdigsten Augenblicke der deutschen Geschichte. Es ist ein eigentümliches Zusammentreffen, daß
diese Reliquie die Stephansbursa mit der Stadt Worms verknüpft, wo zweihundert Jahre vorher, wie Hofmeister
wahrscheinlich gemacht hat, das eben früher besprochene Reichssymbol, die heilige Lanze, von einem anderen
Heinrich, der damals auf dem deutschen Throne saß, erworben worden war.
Herr Dr. liiert, Direktor der Stadtbibliothek und des Stadtarchivs in Worms, hält es zwar »bei der
Fülle der großen Begebenheiten auf Wormser Boden für gewagt, die Siegelung mit einer bestimmten Begeben
heit in Zusammenhang zu bringen«, das Siegel aber, von dem ich ihm eine Photographie vorlegen konnte,
ist ihm »völlig unbekannt«. Er übermittelt mir ferner folgende erwägenswerte Bemerkungen:
»Wenn das Reliquiar karolingisch ist, könnte vielleicht ein Zusammenhang mit der Übersiedelung der
Residenz Karls des Großen von Worms nach Aachen bestehen und so die Wormser Provenienz« (der Reli
quien) »erklärt werden, die bei einer späteren Neubesiegelung festgehalten worden wäre. Die hiesige Königs
pfalz ist im Jahre 750 abgebrannt.
Neben dem Dom stand seit der Mitte des 11. Jahrhunderts eine Stephanskirche als bischöfliche Hof
kirche, eine kleine Stephanskirche stand vor den Mauern, ein Stephansaltar im Kloster Maria Münster, so
daß auch das Vorhandensein von Stephansreliquien in Worms wahrscheinlich ist 287 .«
Zum Schlüsse sei nur noch erwähnt, daß kürzlich der jüngst verstorbene Aachener Stiftspropst Dr. Franz
Kaufmann ausführlich auseinandergesetzt hat, daß der Name »Noli me tangere« einem anderen Reliquiar
zukommt und der Stephansbursa (z. B. im Wiener Schatzkammerführer von 1869) zu Unrecht beigelegt wurde 288 .
Die goldenen Futterstoffe des Kaisermantels.
Der Mantel (Abb. 28) hat die Form eines Halbkreises. Längs seines Durchmessers sitzt auf der Innenseite,
also dort, wo diese, wenn der Mantel getragen wird, zuerst in die Augen fällt, in der durchschnittlichen Breite
von 37 cm und achtfach gestückelt der von Bock in den Reichskleinodien auf Tafel XXVII unter Figur 38
veröffentlichte reich gemusterte, bunte und gold- und silberdurchwirkte Damaststoff. Bock hält ihn für einen
oberitalienischen Stoff vom Ende des 15. Jahrhunderts und glaubt, daß er anläßlich einer Ausbesserung
286 Johann Friedrich Schannat, Historia episcopatus Wormatiensis ... I. Bd. (Frankfurt a. M. 1734)1 S. 351.
287 Herrn Direktor liiert sei auch hier für seine liebenswürdigen mündlichen und schriftlichen Auskünfte bestens gedankt.
288 Vom Talisman Karls des Großen. — Kanonikus Anton Joseph Blees und der Aachener Münsterschatz zur Zeit der
französischen Revolution. Zwei Abhandlungen zur Geschichte des Münsterschatzes. Mit drei Abbildungen im Text. Aachen-Köln
1920, S. 8—48 passim.
Die Kenntnis dieses Buches verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Archivdirektors Dr. Albert Huyskens in Aachen.
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